West-Ost-Entgelte 2012

Trotz großer Lohnkluft zwischen Ost und West:

Rentenangleichung und Ende der »Hochwertung« sind überfällig

Johannes Steffen | Februar 2015

Gegenwärtig erreicht der aktuelle Rentenwert (Ost) 92,2 Prozent des aktuellen Rentenwerts. Ein Gleichziehen der beiden Größen alleine auf Basis der Entgeltentwicklung in den neuen Ländern ist ein Vierteljahrhundert nach der Einheit nicht mehr zu erwarten. Der Transformationsprozess ist weitgehend abgeschlossen und damit auch der durch ihn bewirkte Aufholprozess der Ost-Entgelte. Was bleibt, ist ein eklatanter Lohnunterschied zwischen West und Ost - dessen Ursachen allerdings hauptsächlich wirtschaftsstrukturell und nicht mehr transformationsbedingt sind. Zwar könnte der zu Jahresbeginn eingeführte bundeseinheitliche gesetzliche Mindestlohn noch einmal einen letzten leichten »Angleichungsschub« auslösen - viel mehr ist allerdings in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Es ist höchste Zeit, den aktuellen Rentenwert (Ost) auf das Niveau des aktuellen Rentenwerts anzuheben. Und auch die pauschale »Hochwertung« der Ost-Entgelte hat mit Ende des Transformationsprozesses und vor dem Hintergrund der Entgeltsituation in vielen West-Regionen ihre Legitimation verloren.

Eingefügt durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) vom 25.07.1991 hält  § 254b Absatz 1 SGB VI fest: »Bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland werden persönliche Entgeltpunkte (Ost) und ein aktueller Rentenwert (Ost) für die Ermittlung des Monatsbetrags der Rente aus Zeiten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet gebildet, die an die Stelle der persönlichen Entgeltpunkte und des aktuellen Rentenwerts treten.« - Getragen ist die Formulierung von der seinerzeit politisch aufgestellten Prämisse einer entgeltbasierten Angleichung der Ost-Renten an das Westniveau innerhalb eines überschaubaren Zeitraums (vgl. Info-Box [1]). Diese Prämisse einer Angleichung der Durchschnittsentgelte zwischen West und Ost muss allerdings seit längerem als gescheitert betrachtet werden. Ohne Eingreifen der Politik wird es folglich auch keine Vereinheitlichung der beiden Rentenwerte geben. Gegenwärtig liegt der aktuelle Rentenwert (AR) um 8,4 Prozent oberhalb des aktuellen Rentenwerts (Ost) (AR(O)) - demgegenüber liegt das vorläufige Durchschnittsentgelt für 2015 noch 17,2 Prozent oberhalb des entsprechenden Ost-Betrages (vgl. Info-Box [2]).

Während der niedrigere AR(O) (vgl. Info-Box [4]) schon lange auf wenig Verständnis im Osten stößt, wird die andere Seite dieser Medaille - die Umrechnung (»Hochwertung«) der Ost-Entgelte - von westdeutschen Versicherten zunehmend als ungerecht empfunden: Womit ist die pauschale »Hochwertung« sämtlicher im Osten erzielter Entgelte ein Vierteljahrhundert nach Herstellung der Einheit und vor dem Hintergrund einer sich immer weiter differenzierenden Verdienststruktur in West und Ost noch zu legitimieren? Im Zusammenhang damit stellt sich die grundsätzliche Frage: Wie sollen niedrige Entgelte in Ost und West mit Blick auf die gesetzliche Rente künftig behandelt werden?

Auf Basis der jüngsten Daten des  Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder zur Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (VGR-Durchschnittsentgelt) in den Kreisen und kreisfreien Städten im Jahr 2012 soll diesem Fragenkomplex im Folgenden etwas tiefer nachgegangen werden. Referenzzeitraum ist dabei durchgehend das Kalenderjahr 2012.

1. Durchschnittsentgelt nach SGB VI

Für die Ermittlung von Rentenanwartschaften oder Entgeltpunkten (EP) ist das Durchschnittsentgelt gemäß  Anlage 1 zum SGB VI. Dieser (West-) Wert wird jährlich mit der Veränderungsrate des (West-) Durchschnittsentgelts nach VGR fortgeschrieben. Die Höhe der in einem Jahr erworbenen Entgeltpunkte ergibt sich, indem das beitragspflichtige Entgelt ins Verhältnis gesetzt wird zum entsprechenden Durchschnittsentgelt nach SGB VI. Dieses Verfahren gilt grundsätzlich auch für die Ermittlung von Entgeltpunkten aus einem Verdienst, der in den neuen Ländern (einschließlich Ost-Berlin) erzielt wird. Da das vergleichbare Durchschnittsentgelt im Osten allerdings deutlich niedriger liegt als im Westen, erfolgt zunächst eine Umrechnung der Ost-Entgelte auf Westniveau. Der Umrechnungsfaktor entspricht dem Wert, der sich aus dem rechnerischen Verhältnis des Durchschnittsentgelts (BE) zum Durchschnittsentgelt (Ost) (BE(O)) im jeweiligen Kalenderjahr ergibt. Für 2012 gilt:

BE 2012 / BE(O) 2012 = Umrechnungswert 2012,
33.002 € / 28.004 € = 1,1785.

Die in den neuen Ländern erzielten Verdienste werden also zunächst mit dem Faktor 1,1785 multipliziert - auf Westniveau umgerechnet - und anschließend ins Verhältnis zum (West-) Durchschnittsentgelt gesetz. Das Ergebnis sind Entgeltpunkte (Ost) (EP(O)), die mit dem AR(O) bewertet werden.

Die Relation zwischen dem Durchschnittsentgelt auf der einen und dem vergleichbaren Durchschnittsentgelt (Ost) auf der anderen Seite gibt demnach Auskunft über den Stand der Angleichung der Löhne und Gehälter zwischen den beiden Gebieten oder - wie es § 254b SGB VI formuliert - über den Stand der Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse. 2012 besteht demnach noch eine Differenz von rund 18 Prozent zwischen den rentenrelevanten West- und Ostentgelten. Wesentlicher als diese Momentaufnahme ist allerdings der Umstand, dass sich der Unterschied (1991 waren es noch 72,35 Prozent) seit Mitte der 1990er Jahre nur noch um etwa vier Prozentpunkte verringert hat. Der Prozess der Lohnangleichung ist seither also ins Stocken geraten - realistischer formuliert: Er ist weitgehend abgeschlossen.

2. Durchschnittsentgelt nach VGR

Das Durchschnittsentgelt nach VGR liegt unterhalb des SGB-VI-Durchschnittsentgelts. Zudem fällt die Differenz der statistisch tatsächlich erzielten Durchschnittsentgelte zwischen West und Ost deutlich höher aus als dies bei den SGB-VI-Entgelten der Fall ist (vgl. Grafik 1). So belief sich das VGR-Durchschnittsentgelt in den alten Ländern einschließlich Berlin im Jahr 2012 auf 31.274 Euro - in den fünf neuen Ländern betrug der Durchschnittswert hingegen nur 24.635 Euro. Demnach beträgt die West-Ost-Differenz 27 Prozent - also deutlich mehr als die18 Prozent bei den SGB-VI-Entgelten.

Das VGR-Durchschnittsentgelt berücksichtigt nicht die Arbeitszeit, die dem erzielten Verdienst zugrunde liegt (v.a. Teilzeiteffekt). Erst der Ausweis des VGR-Durchschnittsentgelts je Arbeitsstunde aber macht die tatsächliche Dimension des Lohnunterschieds zwischen West und Ost deutlich (vgl. Grafik 2, Karte 3). So betrug der entsprechende Wert in den alten Ländern einschließlich Berlin 24,05 Euro, in den neuen Ländern hingegen nur 17,42 Euro. Auf Basis der Arbeitsstunde beläuft sich die West-Ost-Differenz demnach auf 38 Prozent.

Im Westen beträgt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit der Beschäftigten 1.300 Stunden - im Osten liegt sie mit 1.414 Stunden um fast neun Prozent höher. Im vorliegenden Zusammenhang heißt dies: Die West-Ost-Differenz beim VGR-Durchschnittsentgelt je Arbeitsstunde in Höhe von 38 Prozent wird durch eine im Osten um fast 9 Prozent höhere Jahresarbeitszeit um 11 Prozentpunkte auf eine West-Ost-Differenz von 27 Prozent beim VGR-Durchschnittsentgelt reduziert. - Für die Rente spielt die Arbeitszeit, innerhalb derer eine Anwartschaft erworben wird, allerdings keine Rolle.

Grafik 1

 

3. Relation zwischen VGR- und SGB-VI-Durchschnittsentgelt

Das SGB-VI-Durchschnittsentgelt liegt mit 33.002 Euro um 1.728 Euro oder 5,53 Prozent oberhalb des VGR-Durchschnittsentgelts der alten Länder (einschließlich Berlin). Im Osten liegt das SGB-VI-Durchschnittsentgelt (einschließlich Ost-Berlin) mit 28.004 Euro um 3.369 Euro oder 13,68 Prozent oberhalb des VGR-Durchschnittsentgelts der fünf neuen Länder.

Die Differenzen innerhalb der beiden Rentengebiete gründen im Zeitverlauf v.a. auf den periodisch durchgeführten Revisionen der VGR-(Absolut-)Werte einerseits und der demgegenüber auf den jeweils aktuellen VGR-Veränderungsraten basierenden Fortschreibung der Durchschnittsentgelte nach SGB VI andererseits. Hinzu tritt im Osten der Umstand, dass das SGB-VI-Durchschnittsentgelt – rückblickend – in den ersten Jahren zu hoch angesetzt worden ist, was wiederum zurückzuführen ist auf die anfängliche statistische Unschärfe im Zuge des Transformationsprozesses; dies wiederum hat einen zu niedrig angesetzten Umrechnungswert und – aufgrund des bis Mitte 1996 praktizierten projektiven Rentenanpassungsverfahrens (vgl. Info-Box [3]) – einen zu hohen AR(O) zur Folge. Die Wirkung dieser Unschärfe der Anfangsjahre wird wegen der seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auf VGR-Veränderungsraten basierenden Fortschreibung der SGB-VI-Durchschnittsentgelte bis in die Gegenwart prolongiert. Dadurch wird bei den Durchschnittsentgelten nach SGB VI ein Anpassungsniveau der ostdeutschen Löhne und Gehälter suggeriert, das so noch längst nicht erreicht ist.

Die Differenz zwischen den beiden Größen hat nachhaltige Auswirkungen auf die Höhe der Rentenanwartschaft. So erwirbt der VGR-Durchschnittsverdiener im Westen nur 0,9476 EP im Jahr - und nicht einen Entgeltpunkt, wie der SGB-VI-Durchschnittsverdiener. Der VGR-Durchschnittsverdiener im Osten kommt nur auf 0,7465 EP - und trotz Umrechnung ergibt dies am Ende lediglich 0,8797 EP(O). Von einer »Hochwertung« der Ost-Entgelte auf Westniveau kann aus Perspektive der VGR-Daten also keine Rede sein. Auf Wertebasis 2012 beträgt die sich in diesem Fall ergebende Jahresrente 315,72 Euro und die Jahresrente (Ost) 260,16 Euro; während also der AR im Jahresdurchschnitt um 12,66 Prozent oberhalb des AR(O) liegt, übersteigt die Jahresrente die Jahresrente (Ost) um 21,36 Prozent.

4. Umrechnung (»Hochwertung«) der Ost-Entgelte

Zur Ermittlung von EP(O) wird das in den neuen Ländern (einschließlich Ost-Berlin) erzielte beitragspflichtige Entgelt wegen der im Osten insgesamt niedrigeren Löhne zunächst auf Westniveau umgerechnet. Der Umrechnungswert beträgt 1,1785 und entspricht dem Verhältnis des SGB-VI-Durchschnittsentgelts zum SGB-VI-Durchschnittsentgelt (Ost). Dies bedeutet: Sämtliche beitragspflichtigen Ost-Entgelte werden pauschal mit dem Umrechnungswert multipliziert (vgl. Grafik 2, Karte 1 und Karte 2); das Ergebnis sind EP(O), die anschließend mit dem AR(O) bewertet werden.

Dahinter steht die Modellannahme, dass die Lohndifferenz zwischen den beiden Rentengebieten hauptsächlich dem immer noch nicht abgeschlossenen Angleichungsprozess der Arbeitsentgelte im Osten geschuldet ist - und nicht etwa vorrangig auf (gravierend) unterschiedliche wirtschaftsstrukturelle Faktoren zurückzuführen ist. Ein Vierteljahrhundert nach der Einheit ist die Erwartung, das Durchschnittsentgelt Ost könne in absehbarer Zeit noch gleichziehen mit dem Durchschnittsentgelt West (VGR-Differenz: 27 Prozent) ebenso realitätsnah wie die Erwartung, dass das Durchschnittsentgelt beispielsweise des Landes Schleswig-Holstein zu dem des Landes Hessen (VGR-Differenz: 25 Prozent) aufschließen könne. Inwieweit der seit Januar diesen Jahres geltende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, der im Osten eine größere Auswirkung auf die Entgeltentwicklung hat als im Westen, einen (letzten ?) »Angleichungsschub« auslösen kann, bleibt abzuwarten. Unabhängig davon verdeckt der Vergleich hochaggregierter Daten (West versus Ost) die sich dahinter verbergenden sehr viel differenzierteren Entwicklungverläufe auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte.

Grafik 2

VGR-Durchschnittsentgelt 2012
vor Umrechnung (»Hochwertung«) der Ost-Entgelte

 
 

* SGB-VI-BE = Durchschnittsentgelt nach Anlage 1 zum SGB VI
Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder sowie eigene Berechnungen

© portal-sozialpolitik.de

Grafik 3

VGR-Durchschnittsentgelt 2012
nach Umrechnung (»Hochwertung«) der Ost-Entgelte

 
 

* SGB-VI-BE = Durchschnittsentgelt nach Anlage 1 zum SGB VI
Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder sowie eigene Berechnungen

© portal-sozialpolitik.de

Grafik 4

VGR-Durchschnittsentgelt 2012
je Arbeitsstunde der Arbeitnehmer

 
 

* Durchschnitt West = 24,05 €/Stunde
Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder sowie eigene Berechnungen

© portal-sozialpolitik.de

Grafik 5

VGR-Durchschnittsentgelt 2012
Vergleichsgröße: SGB-VI-Durchschnittsentgelt (Ost)

 
 

* VGR-BE = Durchschnittsentgelt nach VGR
Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder sowie eigene Berechnungen

© portal-sozialpolitik.de

 

Grafik 6

VGR-Durchschnittsentgelt 2012
Vergleichsgröße: Durchschnittsentgelt des »oberen Ost-Viertels«

 
 

* BE = Durchschnittsentgelt nach VGR
Quelle: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder sowie eigene Berechnungen

© portal-sozialpolitik.de

Maßstab für die pauschale »Hochwertung« der Ost-Entgelte ist alleine die Differenz zwischen den gebietsbezogenen SGB-VI-Durchschnittsentgelten; die VGR-Differenz - also die Differenz zwischen den statistisch tatsächlich erzielten Durchschnittsentgelten - ist für die Umrechnung unmaßgeblich. In sämtlichen 76 Ost-Kreisen und kreisfreien Städten mit zusammen 5,16 Millionen Beschäftigten und einer durchschnittlichen Jahresarbeitszeit von 1.414 Stunden liegt das VGR-Durchschnittsentgelt (gewichteter Durchschnitt: 24.635 Euro) unterhalb des SGB-VI-Durchschnittsentgelts (Ost) in Höhe von 28.004 Euro. Aber auch in 96 West-Kreisen und kreisfreien Städten - das sind 30 Prozent aller West-Kreise bzw. kreisfreien Städte mit zusammen 5,74 Millionen Beschäftigten und einer durchschnittlichen Jahresarbeitszeit von 1.260 Stunden - ist dies der Fall (gewichteter Durchschnitt: 26.444 Euro), ohne dass für die Rentenberechnung eine Anhebung der Entgelte erfolgt (vgl. Grafik 2, Karte 4).

In den 25 Prozent der Ost-Kreise und kreisfreien Städte mit dem höchsten VGR-Durchschnittsentgelt (Ost) - das sind insgesamt 19 Kreise und kreisfreie Städte (»oberes Ost-Viertel«) - erzielen insgesamt 1.519.819 Beschäftigte ein gewichtetes Durchschnittsentgelt in Höhe von 25.956 Euro. Aber auch in 23 Prozent der West-Kreise und kreisfreien Städte mit dem geringsten VGR-Durchschnittsentgelt (West) - das sind insgesamt 75 West-Kreise und kreisfreie Städte (»unteres West-Viertel«) mit 4.073.715 Beschäftigten - beträgt das gewichtete Durchschnittsentgelt lediglich 25.942 Euro, ohne dass für die Rentenberechnung eine Entgelt-Anhebung erfolgt (vgl. Grafik 2, Karte 5). Während das VGR-Durchschnittsentgelt je Arbeitsstunde in den 75 West-Kreisen und kreisfreien Städten im Schnitt bei 20,60 Euro liegt, beträgt es in den 19 Ost-Kreisen und kreisfreien Städten nur 18,30 Euro. Das geringere Stundenentgelt wird durch eine höhere Jahresarbeitszeit von 1.418 Stunden (gegenüber 1.260 Stunden in den 75 West-Regionen) kompensiert. – Anders formuliert: Dem um 12,56 Prozent höheren Stunden-Entgelt in den West-Regionen korrespondiert eine um 12,56 Prozent längere Jahresarbeitszeit in den Ost-Regionen. An dieser Stelle aber noch einmal der Hinweis: Die Arbeitszeit, die der Beitragszahlung zugrunde liegt, spielt bei der Ermittlung der Rentenanwartschaft keine Rolle.

Die Kreis-Daten sprechen daher gegen die Beibehaltung der pauschalen und regional begrenzten »Hochwertung« von Arbeitsentgelten. Dies um so mehr, als seit Jahresbeginn ein bundeseinheitlicher gesetzlicher Mindestlohn gilt. Nach gegenwärtiger Rechtslage führt der Mindestlohn infolge der Umrechnung in den neuen Ländern und Ost-Berlin zu einer um 17,17 Prozent höheren Rentenanwartschaft (vorläufiger Umrechnungswert 2015) als in den alten Ländern. Dies ist westdeutschen Mindestlöhnerinnen und Mindestlöhnern nicht zu vermitteln - zumal zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Anwartschaften in eine Rente münden, längst ein einheitlicher aktueller Rentenwert gelten dürfte.

Vereinheitlichung des Rentenrechts - Die Vorschläge


ver.di-Modell (2006)

Basierend auf dem Modell der Gewerkschaft ver.di fordert ein Bündnis aus Gewerkschaften und Sozialverbänden einen sogenannten »Angleichungszuschlag im Stufenmodell«. Auch DIE LINKE hat den ver.di-Vorschlag inhaltlich im Kern übernommen.

Ver.di will die noch bestehende Differenz zwischen dem AR(O) und dem AR über einen mehrjährigen Angleichungszeitraum mit einem aus Steuern finanzierten Zuschlag Zug um Zug reduzieren und schließlich ausgleichen. Die Anwartschaft aus einem EP bzw. einem EP(O) würde am Ende zu einer gleich hohen (Brutto-) Leistung führen. Der (steuer- und beitragsfreie) Angleichungszuschlag soll so lange beibehalten werden, bis der AR(O) im Zuge der Rentenanpassungen mit dem AR gleichgezogen hat. Der Zuschlag wird auf alle Anwartschaften gezahlt, die vor dem Stichtag seiner Einführung erworben wurden; für nach dem Stichtag entstehende Anwartschaften wird kein Zuschlag gezahlt - für diese soll aber weiterhin die »Hochwertung« der Ost-Entgelte Platz greifen.

Das Modell basiert ausdrücklich auf der Beibehaltung unterschiedlichen Rentenrechts (i.S.v. unterschiedlichen Rechengrößen in West und Ost) und hat entgegen einer weit verbreiteten Meinung nicht dessen schnelle Vereinheitlichung zum Ziel. Die Angleichung des AR(O) an den AR wird über den Angleichungszuschlag lediglich simuliert - nicht aber auch tatsächlich vollzogen. Für die Rentnerinnen und Rentner im Osten macht dies keinen wesentlichen Unterschied - für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Osten aber bleibt die pauschale »Hochwertung« ihrer Anwartschaften auch für künftige Beitragszeiten erhalten.

 

Überlegungen aus dem BMAS (2008)

Geht es nach bislang nicht autorisierten Überlegungen des Bundesarbeitsministeriums aus dem Jahr 2008, so wird mit Ende des Solidarpakts II ab 2020 ein bundeseinheitlicher Rentenwert auf dem Niveau des dann geltenden AR eingeführt. Dessen Fortschreibung erfolgt von da an auf Basis der gesamtdeutschen Lohnentwicklung. Im Gegenzug entfällt die »Hochwertung« der ab 2020 erzielten Ost-Entgelte.

Für vor 2020 erworbene Ost-Anwartschaften bleibt es hingegen beim heute geltenden Recht. Die vor 2020 erworbenen EP(O) würden also weiterhin mit dem AR(O) bewertet - dieser allerdings wird (anders als heute) ebenfalls entsprechend der gesamtdeutschen Lohnentwicklung fortgeschrieben.

Von einer Angleichung der Ostrenten an Westniveau, also einer gleichen Bewertung erworbener Anwartschaften, kann bei den BMAS-Überlegungen keine Rede sein. Denn für die Bestandsrenten sowie für alle vor 2020 erworbenen Anwartschaften bleibt es bei der Bewertung mit dem (niedrigeren) AR(O). Zudem wird für diese Renten und Anwartschaften die zum Umstellungszeitpunkt erreichte Relation zwischen AR(O) und AR für die Zukunft zementiert: Da beide Werte von 2020 an mit der gleichen Rate angepasst werden, kann es von da an nicht nur keine weitere Angleichung mehr geben - aufgrund des Basiseffekts nimmt die 2019 noch bestehende absolute Differenz zwischen beiden Rentenwerten in den Folgejahren weiter zu.

 

Sachverständigenrat (2008)

In seinem Jahresgutachten 2008 entwickelt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) einen Vorschlag, den er selbst als »rentenrechtliche Harmonisierung über eine technische Angleichung« bezeichnet. Es geht dem Rat um eine rein formale Umbasierung der Rechengrößen auf bundeseinheitliche Werte - und damit ausdrücklich nicht um eine Angleichung der aktuellen Rentenwerte.

Spätestens mit Ende des Solidarpakts II (2019) soll demnach ein gesamtdeutscher aktueller Rentenwert - AR(D) - an die Stelle der bisherigen gebietsbezogenen Rentenwerte treten. Dessen Betrag läge leicht unterhalb des AR und oberhalb des AR(O). Da die Rentenbeträge infolge dieser Umbasierung allerdings unverändert bleiben sollen, ist auch eine einmalige Korrektur der bis zum Stichtag erworbenen Anwartschaften notwendig. Der Korrekturfaktor entspricht dem Verhältnis AR / AR(D) bzw. AR(O) / AR(D). Für die westdeutschen Renten und Anwartschaften bedeutet dies eine Korrektur der erworbenen Entgeltpunkte nach oben und für die ostdeutschen Renten und Anwartschaften eine Korrektur der erworbenen Entgeltpunkte nach unten. Die sich nach der Korrektur ergebende Wertdifferenz würde durch den neuen AR(D) genau ausgeglichen. - Die Umrechnung der Ost-Entgelte auf Westniveau entfällt für Anwartschaften, die ab dem Stichtag der Umbasierung erworben werden. Ab der Umstellung werden Entgeltpunkte also unabhängig vom Beschäftigungsort ermittelt, indem das versicherte Entgelt ins Verhältnis gesetzt wird zum gesamtdeutschen Durchschnittsentgelt. Westdeutsche Versicherte würden c.p. pro Jahr mehr Entgeltpunkte erwerben als bisher - dafür läge im Gegenzug der AR(D) unterhalb des bisherigen AR - und ostdeutsche Versicherte würden weniger Entgeltpunkte erwerben - bei einem dann allerdings gegenüber dem bisherigen AR(O) höheren AR(D).

Die Vorstellungen von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP sind im Kern deckungsgleich mit dem SVR-Vorschlag.

 

SPD-Parteikonvent (2012)

Der SPD-Parteikonvent fasste Ende November 2012 u.a. den folgenden Beschluss: »Die vollständige Angleichung des Rentenwertes Ost an West wollen wir in Stufen bis 2020 erreichen. So nehmen auch die jetzigen Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland an der Angleichung teil. Ab 2020 wird es bei der Rentenberechnung in Ost und West keine Unterschiede mehr geben. Damit wird der Aufwertungsfaktor für Löhne in Ostdeutschland abgeschafft.«

Der SPD-Beschluss sieht damit die wertmäßige Angleichung des AR(O) an den AR ab dem Jahr 2020 vor. Sämtliche bis dahin erworbenen EP(O) werden mit Erreichen der letzten Angleichungsstufe für Rentenbestand wie Rentenzugang mit dem AR bewertet. Die rentenrechtlichen Rechengrößen werden auf westdeutschem Niveau vereinheitlicht und künftig auf Basis gesamtdeutscher Veränderungsraten fortgeschrieben. Vor dem Hintergrund eines bundeseinheitlichen aktuellen Rentenwerts sieht der SPD-Beschluss auch bei weiterhin unterschiedlichen Lohnniveaus in Ost und West keinen Raum mehr für die Beibehaltung der Umrechnung ostdeutscher Entgelte auf Westniveau. Damit würden ab 2020 formell und materiell bundesweit einheitliche Rechengrößen gelten.

 

Koalitionsvertrag für die 18. Wahlperiode (2013)

»Der Fahrplan zur vollständigen Angleichung, gegebenenfalls mit einem Zwischenschritt, wird in einem Rentenüberleitungsabschlussgesetz festgeschrieben:

Zum Ende des Solidarpaktes, also 30 Jahre nach Herstellung der Einheit Deutschlands, wenn die Lohn- und Gehaltsangleichung weiter fortgeschritten sein wird, erfolgt in einem letzten Schritt die vollständige Angleichung der Rentenwerte. Zum 1. Juli 2016 wird geprüft, wie weit sich der Angleichungsprozess bereits vollzogen hat und auf dieser Grundlage entschieden, ob mit Wirkung ab 2017 eine Teilangleichung notwendig ist.«

 

Synopse

Regelung ver.di BMAS SVR SPD
Einheit-
licher Renten-
wert
NEIN
Stattdessen: Angleichungs-
zuschlag für vor dem Stichtag erworbene Anwart-
schaften [EP(O)]
JA
Für ab dem Stichtag erworbene Anwart-
schaften [EP]
JA
Für alle Anwart-
schaften [EP] nach vorheriger Korrektur der vor dem Stichtag erworbenen Arnwart-
schaften [EP(O)]
JA
Für alle Anwart-
schaften ab Angleichung (2020)
Basis des einheit-
lichen Renten-
werts
/ AR
aktueller Rentenwert (West)
AR(D)
gesamt-
deutscher aktueller Rentenwert
AR
aktueller Rentenwert (West)
davon erfasste Anwart-
schaften
Bestands-
renten und Anwart-
schaften vor dem Stichtag
Anwart-
schaften ab dem Stichtag
Bestands-
renten und alle Anwart-
schaften
Bestands-
renten und alle Anwart-
schaften
Fort-
geltung des AR(O)
JA
Bis zur Angleichung des AR(O) an den AR
JA
Für vor dem Stichtag erworbene Anwart-
schaften - aber: Dynamisierung auf Basis der gesamt-
deutschen Lohnent-
wicklung
NEIN NEIN
Dynami-
sierung
Auf Basis der Löhne West bzw. Ost bis zur Angleichung des AR(O) an den AR Ab Stichtag: Auf Basis der gesamt-
deutschen Lohnent-
wicklung
Ab Stichtag: Auf Basis der gesamt-
deutschen Lohnent-
wicklung
Ab Angleichung: Auf Basis der gesamt-
deutschen Lohnent-
wicklung
Einheit-
liche Rechen-
größen
NEIN
Bis zur Angleichung des AR(O) an den AR
JA
Ab Stichtag auf Wertebasis West und Fortschrei-
bung nach gesamt-
deutscher Lohnent-
wicklung
JA
Ab Stichtag auf gesamt-
deutscher Wertebasis und Fortschrei-
bung nach gesamt-
deutscher Lohnent-
wicklung
JA
Ab Angleichung auf Wertebasis West und Fortschrei-
bung nach gesamt-
deutscher Lohnent-
wicklung
Ermittlung der Entgelt-
punkte
Weiterhin auf Basis des SGB-VI-BE West bzw. Ost Ab Stichtag auf Basis des SGB-VI-BE West Ab Stichtag auf Basis des gesamt-
deutschen SGB-VI-BE
Ab Angleichung auf Basis des SGB-VI-BE West
Beibehal-
tung der Umrech-
nung der Ost-
Entgelte
JA
Bis zur Angleichung des AR(O) an den AR
NEIN NEIN NEIN

SGB-VI-BE = Durchschnittsentgelt gemäß SGB VI

5. Niedriglöhne und Rente

In Zukunft muss es deshalb verstärkt um die Frage gehen, wie Niedriglöhne - unabhängig von der Region, in der sie erzielt werden - für die Rente aufgewertet werden können. Die Höhe des bundeseinheitlichen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde reicht jedenfalls nicht aus, um nach 45-jähriger vollzeitnaher Beschäftigung eine Rente oberhalb des Existenzminimums zu erzielen. Zudem wirkt ein Mindestlohn stets nur auf künftige Anwartschaften und ist kein Instrument zur Korrektur niedriger Entgeltpositionen der Vergangenheit (vgl. hierzu sowie zu weiteren diskutierten Optionen Reformvorschläge für die Rente).

Um auch diese Anwartschaften zu erreichen, ist eine Verlängerung der gegenwärtig auf Zeiten vor 1992 begrenzten Regelungen zur sogenannten Rente nach Mindestentgeltpunkten erforderlich. Liegen die Anwartschaften aus sämtlichen Pflichtbeiträgen im Durchschnitt unterhalb von 75 Prozent des SGB-VI-Durchschnittsentgelts (weniger als 0,75 EP bzw. EP(O) pro Jahr), so wird gegenwärtig der Durchschnitt der vor 1992 liegenden Pflichtbeitragszeiten um 50 Prozent auf maximal 75 Prozent des Durchschnittsentgelts angehoben, sofern mindestens 35 Jahre an rentenrechtlichen Zeiten vorhanden sind.

Für niedrige Rentenanwartschaften der Zukunft sollte diese Regelung allerdings modifiziert werden, da sie in ihrer gegenwärtigen Fassung nicht unterscheidet zwischen Geringverdienern auf der einen und Niedriglöhnern auf der anderen Seite. Eine geringe Bemessungsgrundlage für den Rentenbeitrag muss aber nicht auf niedrigem Lohn oder Gehalt beruhen - sie ist häufig (auch) Ergebnis kürzerer Arbeitszeiten. Ein geringer Verdienst infolge von Teilzeitarbeit bei womöglich vergleichsweise hohem Stundenlohn bedarf nicht im gleichen Ausmaß des Solidarausgleichs der gesetzlichen Rentenversicherung wie ein Niedriglohn, der aus geringem Stundenentgelt bei längerer Arbeitszeit resultiert. Eine Entfristung der Regelung, die künftige Anwartschaften betrifft, sollte daher arbeitszeitgewichtet ausgestaltet sein. Dies bedeutet, dass den Rentenversicherungsträgern künftig auch die der Entrichtung von Pflichtbeiträgen aus abhängiger Beschäftigung zugrunde liegende Arbeitszeit gemeldet werden muss.

Zurecht wird in diesem Zusammenhang allerdings auch die Frage gestellt, warum die Allgemeinheit - hier die Rentenversicherung - dauerhaft die finanziellen Folgen zu niedriger Löhne für die Alterssicherung tragen sollte. So, wie der Mindestlohn bei vollzeitnaher Beschäftigung ein Leben unabhängig von staatlicher Fürsorge ermöglichen soll, so muss auch die Bemessungsgrundlage für der verpflichtenden Vorsorge dienende Beiträge aus abhängiger Beschäftigung mindestens so hoch sein, dass nach einer erwerbslebenslangen vollzeitnahen Beschäftigung (Standarderwerbsbiografie von 45 Jahren) eine (Netto-) Rente mindestens in Höhe des Existenzminimums erwartet werden kann. Wird die dafür erforderliche Mindestbemessungsgrundlage (pro Stunde) durch den tatsächlich erzielten Lohn unterschritten, so wäre der auf den verbleibenden Differenzbetrag fällige Rentenbeitrag alleine vom Arbeitgeber zu tragen (vgl. hierzu Wenn der Mindestlohn fürs Alter nicht reicht).

 Ergebnisse für die Kreise und kreisfreien Städte als PDF-File