Reformvorschläge für die Rente
Reformvorschläge für die Rente
Die Wirkung ausgewählter Instrumente und Maßnahmen auf die Höhe der Renten im Rentenbestand, beim Rentenzugang und für Rentenanwartschaften
Johannes Steffen | Januar 2013
In der Debatte darüber, wie in Zukunft womöglich wieder steigende Altersarmut vermieden werden kann, streiten die Parteien derzeit um die »richtigen« Konzepte. In den Programm-Angeboten findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Instrumente, die (je für sich) mal mehr, mal weniger geeignet erscheinen, einen Beitrag zur Lösung des Problems zu liefern. Hierbei sind die strukturellen Ursachen von Altersarmut bzw. von nicht existenzsichernden Renten trotz erwerbslebenslanger Zugehörigkeit zur sozialen Rentenversicherung weitgehend unstrittig. Die wesentlichen Gründe sind:
- die Ausbreitung des Niedriglohnsektors,
- die zunehmende Bedeutung sozialversicherungspflichtiger, aber häufig unfreiwilliger Teilzeitarbeit
- häufig aufgrund mangelhafter Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
- Langzeiterwerbslosigkeit sowie unstetige Beschäftigung,
- die Zunahme versicherungsfreier Beschäftigungen und Tätigkeiten und
- der Eintritt von Erwerbsminderung als eigenständiges Armutsrisiko – auch für die anschließende Altersrente.
Politisch gerne vergessen oder doch stark relativiert wird bei der Benennung der Ursachen allerdings
- die drastische Senkung des Rentenniveaus um rund ein Fünftel von 53 Prozent um die Jahrhundertwende auf perspektivisch nur noch 43 Prozent in den 2030er Jahren.
Mancher parteipolitische Vorschlag vermittelt dabei den Eindruck, als könnten einzelne Maßnahmen alleine – beispielsweise ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn – oder in Summe mit anderen Instrumenten die Senkung des Rentenniveaus kompensieren. Dies erweist sich bei genauerer Betrachtung jedoch als (gerne und vielleicht sogar vorsätzlich gehegte) Illusion.
Auffallend wenig Aufmerksamkeit wird in diesem Zusammenhang nämlich der Frage gewidmet, welche Reichweite die vorgeschlagenen Maßnahmen im Einzelnen haben – sowohl hinsichtlich der erfassten Personengruppen als auch bezüglich der sozialpolitischen »Inkubationszeit« der einzelnen Instrumente. Damit verschwimmt in der Debatte (bewusst?) der Zeithorizont, der erforderlich wäre, damit die jeweilige Maßnahme überhaupt Wirkungen auf die Rentenhöhe entfalten kann. Nur wenn die Wirkungen schon in der näheren Zukunft eintreten, könnten sie tatsächlich einen Beitrag leisten, um auch das Risiko von Altersarmut zu reduzieren. Denn schließlich stellt die Debatte um dieses Thema nicht auf die fernere Zukunft in den 2050er oder 2060er Jahren ab, sondern auf die sich abzeichnenden Entwicklungen in den unmittelbar vor uns liegenden 2020er und 2030er Jahren. Was aber nützen Instrumente, die erst in einigen Jahrzehnten zählbare Wirkung zeigen können, wenn das Rentenniveau derweil den Bach runter geht?
Die heutigen Rentnerinnen und Rentner sind von der drastischen Senkung des Rentenniveaus genauso betroffen wie die künftigen Rentenzugänge. Den derzeit gut 20 Millionen Bestandsrenten helfen aber weder ein gesetzlicher Mindestlohn noch die bessere Absicherung von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit oder die Ausweitung des Versichertenkreises zu gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Blick auf die heutigen Bestandsrenten wird besonders deutlich, welch zentraler Stellenwert einer Stabilisierung und (Wieder-) Anhebung des Rentenniveaus zukommt.
Die personelle Reichweite der einzelnen Vorschläge
Rentenniveau
Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde – beginnend mit der »Riester-Reform« zu Beginn des Jahrhunderts – ein folgenschwerer Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik auf den Weg gebracht. An die Stelle des Ziels der Lebensstandardsicherung (unter der seinerzeitigen Nettolohnanpassung der Renten stand hierfür ein Nettorentenniveau von rd. 70 Prozent nach 45 Beitragsjahren) ist seither das Ziel der Beitragssatz-Deckelung getreten. Gemäß § 154 Abs. 3 SGB VI darf der Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung (2013: 18,9 Prozent) bis 2020 nicht über 20 Prozent und bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen. Erreicht werden soll dies im Wege der Abkoppelung der Renten- von der Lohnentwicklung (technisch realisiert über die Rentenanpassungsformel), was gleichbedeutend ist mit einer drastischen Senkung des Rentenniveaus. Dessen Wert, das sogenannte Sicherungsniveau vor Steuern (SvS), sinkt um rd. ein Fünftel von etwa 53 Prozent im Jahr 2000 in Richtung 43 Prozent in den 2030er Jahren.
Hiervon betroffen sind alle Bestandsrenten und alle künftigen Zugänge in Rente. Sämtliche bereits erworbenen und künftig noch zu erwerbenden Rentenanwartschaften verlieren dadurch relativ, d.h. im Verhältnis zu den Löhnen, immer mehr an Wert. Umgekehrt käme ein Stopp der weiteren Niveausenkung wie auch eine Wiederanhebung des Rentenniveaus ebenfalls allen Renten und allen Anwartschaften zugute.
Mit Ausnahme der LINKEN halten jedoch sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien politisch am Prozess der Niveauabsenkung fest – die SPD seit ihrem Beschluss vom 24. November 2012 zunächst einmal bis zum Ende des Jahrzehnts. Wenn aber die weitere Niveausenkung nicht gestoppt wird, dann verlieren auch alle übrigen Instrumente, die in der gegenwärtigen Debatte zur Vermeidung von Altersarmut ins Feld geführt werden, beständig an Wert.
Gesetzlicher Mindestlohn
Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn kann (unabhängig von seiner konkreten Höhe) immer nur künftige Rentenanwartschaften erhöhen. Niedrige Löhne und damit niedrige Rentenanwartschaften, die in der Vergangenheit liegen, werden nicht erfasst. Ein Mindestlohn braucht also eine jahrzehntelange Vorlaufzeit, um sich auch in der Rente nachhaltig bemerkbar machen zu können.
Stärkung der Tarifbindung (Allgemeinverbindlichkeit)
Ähnlich verhält es sich mit der notwendigen Stärkung der Tarifbindung von Arbeitsverhältnissen – etwa im Wege der Allgemeinverbindlicherklärung, mit der tarifliche Normen auch auf nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse ausgedehnt werden können. Sofern hierdurch die beitragspflichtigen Entgelte von bislang »untertariflich« entlohnten Versicherten angehoben werden, betreffen die positiven Wirkungen immer nur die zukünftigen Rentenanwartschaften.
Lohnniveau-Angleichung Ost / West
Eine schnellere Angleichung des Lohnniveaus Ost an das Lohnniveau West führt im Rahmen des geltenden Anpassungsverfahrens der Renten zu einer schnelleren Angleichung der aktuellen Rentenwerte und damit zu einer schnelleren Angleichung der Ost-Renten an das Westniveau. Hiervon erfasst würden alle Bestands- und alle Zugangsrenten, weil dadurch der Wert ihrer Entgeltpunkte (EP) stiege. – Für die Rentenanwartschaften selbst (also die Zahl der Entgeltpunkte pro Zeiteinheit) würde sich dadurch grundsätzlich nichts ändern. Denn bei einem höheren Lohnniveau im Osten fiele umgekehrt der Umrechnungswert nach Anlage 10 zum SGB VI, mit dem die Ostentgelte derzeit noch auf Westniveau hochgerechnet werden, entsprechend geringer aus.
Erhöhung der Erwerbsquote / Vollzeit-Beschäftigtenquote
Eine Erhöhung der Erwerbsquote oder auch die Steigerung des Anteils der Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse erhöht die zukünftigen Rentenanwartschaften derjenigen, die (zusätzlich) eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen oder deren versicherungspflichtiges Entgelt beispielsweise durch Ausweitung der individuellen Arbeitszeit steigt.
Gesamtleistungsbewertung von Zeiten der Langzeit-Arbeitslosigkeit
Werden Zeiten der Langzeit-Arbeitslosigkeit im Rahmen des sogenannten Gesamtleistungssystems bewertet, so hängt die Bewertung dieser Zeiten (mit EP) zum Zeitpunkt der Verrentung vereinfacht ausgedrückt davon ab, welche durchschnittliche Entgeltposition Versicherte während ihrer gesamten Beitragszeiten erreicht haben und auch davon, ob ihre Versicherungsbiografie – zu der alle rentenrechtlichen Zeiten (also auch beitragsfreie Zeiten) zählen – lückenlos ist oder nicht. Ein Vorteil dieses Instruments etwa gegenüber dem Vorschlag, für ALG-II-Zeiten wieder Beiträge zu zahlen, ist: Erfasst würden für alle Rentenzugängen auch die in der Vergangenheit (also vor Einführung der neuen Regelung) liegenden Zeiten der Langzeit-Arbeitslosigkeit.
(Wieder-) Einführung von Beiträgen für Langzeit-Arbeitslose
Eine (Wieder-) Einführung von Beitragszahlungen des Bundes bei ALG-II-Bezug erfasst nur die künftigen ALG-II-Zeiten und nicht auch die bereits zurückgelegten. Zudem werden nur ALG-II-Beziehende erfasst (von denen wiederum weniger als die Hälfte auch arbeitslos ist) – Arbeitslose dagegen, die wegen fehlender Bedürftigkeit kein ALG II beziehen, gehen leer aus.
»Equal Pay« bei Leiharbeit und Maßnahmen gegen den »Gender Gap«
Die Wirkung beider Maßnahmen auf die Rente ist strukturell denen der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns vergleichbar. Erfasst werden können nur zukünftige Rentenanwartschaften.
Investitionen in Bildung und Ausbildung
Investitionen in qualifizierte Bildung und Ausbildung hat für die dadurch besser (Aus-) Gebildeten in der Regel ein höheres Erwerbseinkommen und damit – sofern Versicherungspflicht vorliegt – auch höhere künftige Rentenanwartschaften zur Folge. Die rentenpolitische »Inkubationszeit« solch sinnvoller Vorschläge ist allerdings besonders lang, da der dadurch erreichte Personenkreis in der Regel erst am Beginn seines Erwerbslebens steht.
Ausbau der Kinderbetreuung / Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Der Ausbau der Infrastruktur zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie soll es vor allem Frauen ermöglichen, nach der Geburt eines Kindes früher und/oder mit einer höheren Stundenzahl eine versicherungspflichtige Beschäftigung (wieder) aufzunehmen und damit auch ihre Rentenanwartschaften zu erhöhen. Wirkung entfaltet auch dieses Instrument nur auf zukünftige Rentenanwartschaften.
Ausweitung des Versichertenkreises
Die Ausweitung des Versichertenkreises auf bislang nicht versicherungspflichtig Beschäftigte oder versicherungsfrei selbständig Tätige bezieht diese Personengruppe in den Kreis der Versicherten ein; der Vorschlag dient der Schließung bislang noch bestehender Lücken im System der sozialen Sicherung – erfassen lassen sich aber auch damit nur zukünftige Anwartschaften.
Bessere Absicherung bei Erwerbsminderung
Hierzu zählen vor allem die Verlängerung der sogenannten Zurechnungszeit, die derzeit nur bis zum vollendeten 60. Lebensjahr reicht, sowie die Abschaffung der Rentenabschläge (bis zu 10,8%) bei Beginn der Erwerbsminderungsrente vor vollendetem 60. Lebensjahr. Da Erwerbsminderung jederzeit eintreten kann, würden durch diese Maßnahmen alle Rentenzugänge unmittelbar erfasst – neu zugehende Erwerbsminderungsrenten fielen somit gegenüber geltendem Recht deutlich höher aus. Es liegt in der Systematik der beiden Maßnahmen, dass eine Unterscheidung zwischen zurückliegenden und künftigen Anwartschaften in diesem Fall irrelevant ist.
Erhöhung der Kindererziehungszeiten für Geburten vor 1992
Derzeit erhalten Frauen für Geburten vor 1992 ein Jahr Kindererziehungszeit (KERZ) in der Rente gutgeschrieben – für Geburten nach 1991 sind es dagegen drei Jahre. Diese Differenzierung ist sozialpolitisch nicht zu rechtfertigen. Wenn eine Erhöhung der KERZ auch für Geburten vor 1992 in den Forderungen der Parteien auftaucht, so sollen hiervon (Ausnahme: DIE LINKE) allerdings nur die Zugangsrenten erfasst werden. Die rund 21 Millionen Geburten vor 1992, die heute bereits im Rentenbestand erfasst sind, blieben demnach außen vor.
Verlängerung bzw. Entfristung der Regelung zur Rente nach Mindestentgeltpunkten
Über die sogenannte Rente nach Mindestentgeltpunkten (RnMEP) wird der Durchschnitt der Entgeltposition aus niedrigen Pflichtbeitragszeiten auf das 1,5-Fache ihres tatsächlichen Wertes, maximal auf 75 Prozent des Durchschnittsentgelts (also maximal 0,75 EP/Jahr) angehoben. Die Regelung ist derzeit allerdings begrenzt auf vor 1992 liegende Pflichtbeitragszeiten mit einer niedrigen Entgeltposition; die Bedeutung der Regelung nimmt daher mit jedem neuen Rentenzugangsjahr ab. Eine Verlängerung des Instruments auf nach 1991 liegende Zeiten mit niedrigem Entgelt würde bei künftigen Rentenzugängen gerade die zurückliegenden Anwartschaften erfassen und gehört insoweit als zweite Seite der Medaille zwingend zu einem gesetzlichen Mindestlohn dazu. Bei einer völligen Entfristung könnten auch künftige Anwartschaften erfasst werden. Dies wäre erforderlich, sofern die Höhe eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns – bei typisierender Betrachtung einer erwerbslebenslangen, vollzeitnahen Beschäftigung – nicht zu einer Nettorente oberhalb des Existenzminimums führt.
Höherbewertung auch vor 1992 liegender Berücksichtigungszeiten
Frauen, die nach der Geburt eines Kindes und im Anschluss an die Kindererziehungszeit versicherungspflichtig beschäftigt sind, können für die Zeiten bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres des Kindes (Kinderberücksichtigungszeit) zusätzliche Entgeltpunkte erhalten. In solchen Fällen werden die durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung monatlich erworbenen Entgeltpunkte um 50 Prozent erhöht – maximal auf monatlich 0,0833 EP (= Durchschnittsentgelt). Diese Regelung gilt derzeit nur für nach 1991 liegende Berücksichtigungszeiten. Mit einer Verlängerung in die Vergangenheit (vor 1992 liegende Berücksichtigungszeiten) würde die Regelung bei künftigen Rentenzugängen auch zurückliegende Rentenanwartschaften erfassen.
Höhere Beiträge für ehrenamtlich Pflegende
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Zahlung höherer Beiträge der Pflegeversicherung für ehrenamtliche Pflegepersonen nur künftige Rentenanwartschaften (Pflegezeiten) erfassen kann.
»Mindestrenten«-Ansätze
Die »Mindestrenten«-Ansätze der Arbeitsministerin (Zuschussrente) bzw. der Koalition (Lebensleistungsrente), der SPD (Solidarrente) und der Grünen (Garantierente) haben allesamt ausschließlich die künftigen Rentenzugänge im Auge – Bestandsrenten bleiben hier grundsätzlich außen vor. Die LINKE hingegen will auch den Rentenbestand in ihre Solidarische Mindestrente einbeziehen.
Die Wirksamkeit einzelner Instrumente vor dem Hintergrund eines sinkenden Rentenniveaus
So wichtig jedes einzelne der vorgeschlagenen Instrumente auch ist – bei einem weiter sinkenden Rentenniveau nimmt ihre Wirksamkeit ab. Die folgenden Beispiels-Rechnungen erfolgen für kinderlose Alleinstehende auf heutiger Wertebasis (v.a.: aktueller Rentenwert = 28,07 EUR, vorläufiges Durchschnittsentgelt 2013 = 34.071 EUR, Rentenniveau (SvS) 2013 = 48,9 Prozent sowie auf die Bruttorente fällige Sozialabgaben in Höhe von 10,5 Prozent der Rente). Die Berechnungsmethode »auf heutiger Wertebasis« hat zur Folge, dass die im Folgenden in Euro ausgewiesenen Beträge der Renten in Zukunft sinken; dies könnte in der Realität aber nur dann der Fall sein, wenn die Rentenniveausenkung von jetzt auf gleich umgesetzt würde. Die in den Beispielen sinkenden Nominalbeträge sind also Folge der Berechnungsmethode, die auf der Konstanz von Löhnen und Existenzminimum beruht, und die den Abkoppelungsprozess der Renten von der Entwicklung der Löhne und des Existenzminimums rechnerisch veranschaulichen soll.
Angenommen wird zudem eine Erwerbsbiografie mit 45 Beitrags- bzw. Versicherungsjahren (Standarderwerbsbiografie) ohne versicherungstechnische Rentenabschläge; im Fall des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente werden auf Basis heute geltenden Rechts 40 Jahre (einschließlich Zurechnungszeit) und 10,8 Prozent Rentenabschlag zugrunde gelegt.
Als armutsresistent wird eine Rentenhöhe definiert, deren Nettobetrag (= Bruttorente abzüglich der auf sie fälligen Beiträge der Rentner zur Kranken- und Pflegeversicherung) mindestens 1/12 des steuerlichen Grundfreibetrages (2013 = 678 EUR) erreicht. Hierfür erforderlich sind beim gegenwärtigen Rentenniveau 27 Entgeltpunkte – bei einem Rentenniveau von nur noch 43 Prozent wären bereits 30,7 Entgeltpunkte nötig.
Kann ein gesetzlicher Mindestlohn eine armutsresistente Altersrente gewährleisten?
Gewerkschaften und SPD fordern einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 EUR, die LINKE legt die Marke bei 10 EUR an. So wichtig ein gesetzlicher Mindestlohn im Kampf gegen Lohndumping ist, so wenig kann er auf der anderen Seite die Rentenniveausenkung kompensieren.
Denn selbst nach 45 Beitragsjahren erreicht die Altersrente (netto) nicht die Höhe des steuerfreien Existenzminimums. Mit der weiteren Senkung des Rentenniveaus sackt der Wert der erworbenen Entgeltpunkte zudem immer weiter ab.
Ein Mindest-Lohn in Höhe von … EUR | … ergibt einen Monats-Lohn1 von … EUR | … dies entspricht einer relativen Entgelt-Position2 von … Prozent | … und ergibt nach 45 Beitrags-Jahren3 insgesamt … Entgelt-Punkte | … und eine Brutto-Rente von derzeit … EUR |
8,50 | 1.397 | 49,20 | 22,1410 | 621 |
10,00 | 1.644 | 57,89 | 26,0483 | 731 |
1 bei einer 38-Stunden-Woche, 2 im Verhältnis zum Durchschnittsentgelt, 3 mit der angegebenen Entgeltposition |
Umgekehrt wäre ein Mindestlohn von 10 EUR bei einem wieder lebensstandardsichernden Rentenniveau von 53 Prozent in der Lage, die Altersrente knapp oberhalb des Existenzminimums zu halten. Da dieser Mindestlohn aber erst einmal über Jahrzehnte hinweg bezogen worden sein muss, gilt diese strikte Aussage erst für die Rentenzugänge ab den 2050er Jahren.
Kann die Verlängerung oder Entfristung der Rente nach Mindestentgeltpunkten eine armutsresistente Altersrente gewährleisten?
Zusammen mit einem gesetzlichen Mindestlohn, der Vollzeitbeschäftigten eine relative Erwerbseinkommensposition von mindestens 50 Prozent des Durchschnittsentgelts gewährleistet, wäre eine Verlängerung oder Entfristung der Regelungen zur Rente nach Mindestentgeltpunkten (RnMEP) in der Lage, die Netto-Altersrente deutlich über die Schwelle des Existenzminimums zu heben.
Mit der RnMEP wird eine Entgelt-Position von … Prozent | … angehoben auf … Prozent (Obergrenze) | … dies ergibt nach 45 Beitrags-Jahren insgesamt … Entgelt-Punkte | … und eine Brutto-Rente von derzeit … EUR |
50,00 | 75,00 | 33,7500 | 947 |
60,00 | 75,00 | 33,7500 | 947 |
Nach 45 Beitragsjahren können Versicherte so im Maximum 33,75 Entgeltpunkte erreichen; daraus errechnet sich gegenwärtig eine monatliche Bruttorente von 947 EUR – netto sind dies 848 EUR. Aber auch die Regelung zur RnMEP ist nicht immun gegen ein weiter sinkendes Rentenniveau, in dessen Folge sich der Abstand der maximal erreichbaren Nettorente (nach RnMEP) zum Existenzminimum mehr und mehr verringert. Demgegenüber könnte das Instrument bei einem wieder lebensstandardsichernden Rentenniveau von 53 Prozent die strukturelle Armutsresistenz der gesetzlichen Rentenversicherung überzeugend gewährleisten. – Ein unschlagbarer Vorteil dieses Instruments ist, dass es unmittelbar, also zeitnah, wirksam ist und zielgenau ausgestaltet werden kann.
Welchen Beitrag können eine verlängerte Zurechnungszeit sowie die Abschaffung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten für eine armutsresistente Rente leisten?
Wenn bereits in jungen Jahren Erwerbsminderung eintritt, sind die Betroffenen ganz besonders auf eine annähernd lebensstandardsichernde Rente angewiesen. Wer beispielsweise im Alter von 40 Jahren eine volle Erwerbsminderungsrente beziehen muss, erhält daher bei der Berechnung der Rentenhöhe eine Zurechnungszeit, die derzeit bis zum vollendeten 60. Lebensjahr reicht. Die Zurechnungszeit wird mit dem Gesamtleistungswert bewertet – der wiederum richtet sich (vereinfacht ausgedrückt) nach der durchschnittlichen Entgeltposition während der zurückgelegten Beitragsjahre sowie der Beitragsdichte, also danach, ob seit Eintritt in die Rentenversicherung bis zum Zeitpunkt der Erwerbsminderung durchgehend Versicherungsjahre (dazu zählen alle rentenrechtlichen Zeiten) vorliegen oder ob Lücken vorhanden sind. Der durchschnittliche Gesamtleistungswert bei Erwerbsminderungsrenten betrug beim Rentenzugang 2011 0,8 Entgeltpunkte pro Jahr.
Legt man diese Entgeltposition von 80 Prozent sowie 40 »Beitragsjahre« (einschließlich Zurechnungszeit) zugrunde, so beträgt die Nettorente bei voller Erwerbsminderung derzeit 717 EUR (brutto 801 EUR). Verantwortlich für die vergleichsweise geringe Rentenhöhe sind vor allem die Abschläge von 10,8 Prozent, die in voller Höhe immer dann fällig werden, wenn die Erwerbsminderungsrente vor dem vollendeten 60. Lebensjahr beginnt (seit 2012 steigt diese Lebensaltersgrenze in Stufen auf das vollendete 62. Lebensjahr). Infolge der Rentenniveausenkung fällt die Rente im Laufe der Jahre unter das Existenzminimum auf nur noch 631 EUR bei einem Rentenniveau von 43 Prozent.
Bei einer Entgelt-Position von … Prozent | … und … Beitrags-Jahren (ein-schließlich Zurech-nungszeit) | … sowie einem Renten-Abschlag von … Prozent (= Zugangs-Faktor von …) |
Ergeben sich … persönliche Entgelt-Punkte | … und eine Brutto-Rente von derzeit … EUR |
80,00 | 40 | 10,8 (= 0,892) | 28,5440 | 801 |
80,00 | 42 | 0,0 (= 1,000) | 33,6000 | 943 |
Durch eine Verlängerung der Zurechnungszeit um zwei Jahre und die Abschaffung der Abschläge stiege die Nettorente auf 844 EUR und läge damit deutlich oberhalb des Existenzminimums. Aber auch hier droht ein Wertverlust infolge der Niveausenkung – die Nettorente nähert sich bei einem Rentenniveau von nur noch 43 Prozent wieder bedenklich der Schwelle des Existenzminimums. Erst im Zusammenspiel mit einem wieder lebensstandardsichernden Rentenniveau von 53 Prozent können die beiden Maßnahmen einen überzeugenden Beitrag zur Armutsvermeidung bei Erwerbsminderung – und anschließend im Alter – leisten.
Alles in allem liefern die Maßnahmen und Instrumente, die auf die Schließung von Sicherungslücken im Erwerbs- und/oder im Erwerbseinkommensverlauf abzielen, am Ende nur dann auch einen Beitrag zur Stärkung der strukturellen Armutsresistenz der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn gleichzeitig das Rentenniveau wieder auf eine lebensstandardsichernde Höhe angehoben wird. An diesem Punkt aber stellen sich CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD quer – mit all den negativen Folgen für die Wirksamkeit ihrer eigenen Vorschläge.