Dynamisierte Standardrente
Das »dynamisierte« Sicherungsniveau
Kommt Schummelsoftware jetzt auch bei der Rente zum Einsatz?
Johannes Steffen | November 2016
Die Abkoppelung der Renten von der Lohnentwicklung führt zu einem sinkenden Rentenniveau. Lag dessen Wert im Jahr 2000 bei 52,9 Prozent, so sind es momentan noch 48,0 Prozent. Bis 2030 geht der Sinkflug weiter auf voraussichtlich 44,5 Prozent und 2045 könnten es nach jüngsten Daten gerade mal 41,7 Prozent sein. Arbeitsministerin Nahles (SPD) plädiert daher für eine »Haltelinie« – unklar ist bislang, wo und wie diese gezogen werden soll. Auch das Institut der Deutschen Wirtschaft (iw) hat gegen ein solches Vorhaben nichts einzuwenden. »Diese Haltelinie sollte aber nicht genutzt werden, um das Versorgungsniveau durch die Hintertür anzuheben«. [1] Deshalb schlägt das iw eine Art »Schummelsoftware« für die Berechnung des Niveaus vor.
Das Rentenniveau misst das rechnerische Verhältnis zwischen Standardrente (Zähler) und Durchschnittsentgelt (Nenner). Hierbei werden Zähler und Nenner um Sozialabgaben bereinigt. Von der Standardrente gehen die bei durchschnittlichen Beitragssätzen fälligen Abgaben zur Kranken- und Pflegeversicherung ab und das Durchschnittsentgelt wird um die Quote der Beiträge zu Sozialschutzsystemen gemindert – ermittelt nach den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Die steuerliche Belastung von Lohn und Rente bleibt dagegen außen vor, weil der Teil der Standardrente, der der Besteuerung unterliegt, seit 2005 vom Jahr des Rentenzugangs abhängig ist (Alterseinkünftegesetz – AltEinkG – mit dem Übergang zur nachgelagerten Besteuerung). Ermittelt wird das Rentenniveau demnach als Sicherungsniveau vor Steuern (SvS).
Die Standardrente ist zudem eine auf 45 Entgeltpunkte »geeichte« Größe, was in der Öffentlichkeit meist mit 45 Beitragsjahren und Durchschnittsentgelt übersetzt wird. Bei den 45 Entgeltpunkten handelt es sich um eine (sozial-) politische Konvention – genau so gut könnte man 40 (wie bis Mitte der 1980er Jahre üblich) oder auch 50 Entgeltpunkte zugrunde legen. Das ausgewiesene Niveau fällt im einen Fall geringer, im anderen Fall höher aus. Der gewählte Maßstab ändert aber nichts an den zu messenden Verhältnissen selbst. Deshalb ist die »absolute« Höhe des Rentenniveaus, bei dem es sich stets um eine relative Größe handelt, nicht von so entscheidender Bedeutung. Im Kern geht es um Aussagen zur Entwicklung des Sicherungsniveaus im Zeitablauf. Wenn also im politischen Raum eine Stabilisierung oder auch eine Anhebung des Rentenniveaus unter Nennung bestimmter Zielgrößen – beispielsweise 48 Prozent oder 53 Prozent – gefordert wird, dann zielt dies bei gegebenem Messverfahren auf die dementsprechende Festschreibung oder Verbesserung der Verteilungsposition der Renten im Vergleich zu den Löhnen. Ob dies auf Basis einer Standardrente mit 45 oder mit 50 Entgeltpunkten und damit jeweils unterschiedlicher »absoluter« Werte geschieht, ist am Ende unerheblich. Nur eines sollte man nicht tun: Eine von Jahr zu Jahr höhere Summen an Entgeltpunkten zugrunde legen. Denn dann könnte das Rentenniveau auch steigen, wenn die Renten schwächer zulegen als die Löhne – ein offensichtlich unsinniges Ergebnis.
Vordergründige Versuche zur rein rechnerischen Anhebung des Rentenniveaus gibt es reichlich. Erst jüngst wieder mahnte die Bundesbank, bei der Modellierung der Standardrente die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre ab 2030 nicht länger auszublenden – künftig also auf 47 statt weiterhin auf nur 45 Entgeltpunkte abzustellen. [2] Auch die »Fünf Wirtschaftsweisen« nehmen sich in ihrem jüngsten Gutachten des Themas an und liefern mit dem »dynamisierten Standardrentner« [3] auch gleich die passende Begrifflichkeit.
Kein Vorschlag scheint derzeit plump genug, um nicht als »Lösung« der anstehenden Verteilungsfragen präsentiert zu werden. Dahinter steckt offenbar das Kalkül, man könne diejenigen, die bei Null Grad Celsius frieren, am Ende davon überzeugen, dass ihnen bei 32 Grad Fahrenheit wärmer wäre.
Ganz so lesen sich die Ausführungen des iw: »Weist der Standardrentner im Jahr 2030 aufgrund der Rente mit 67 zwei Beitragsjahre mehr auf als heute, steigt das Rentenniveau vor Steuern von 44,6 auf 46,6 Prozent.«
Da die Altersgrenze seit 2012 jährlich um einen Monat steigt (ab 2024 zwei Monate), erhält die »dynamisierte« Standardrente für jeden Zusatzmonat einen Aufschlag von 0,0833 Entgeltpunkten – am Ende also insgesamt 47 Punkte. So lässt sich das Niveau auch im Jahr 2045 noch über 43 Prozent hieven (grüne Linie).
Ein derart »dynamisiertes« Rentenniveau eignet sich jedoch nicht mehr zur Messung der Leistungsfähigkeit des Rentensystems über die Zeit. Die implizite methodische Unwucht – vergleichbar der einer weiteren Verwendung des früher gebräuchlichen Nettorentenniveaus unter den Bedingungen des AltEinkG – erforderte ab 2012 für jedes Rentenzugangsjahr die Ermittlung und Fortschreibung eines je separaten Niveaus. Nur so ließe sich die Entwicklung der Verteilungspositionen valide abbilden.
Schließlich bliebe die Neudefinition der Standardrente nicht ohne Folgen für die Rentenanpassung – dies will das iw aber offenbar ausschließen. Auch die Anpassungsformel stellt bislang auf 45 Entgeltpunkte ab; diese Normierung müsste bei konsistenter Umsetzung des Vorschlags ebenfalls angepasst werden. Damit aber fiele der Nachhaltigkeitsfaktor höher aus. Ergebnis wäre eine stärkere Dynamik des aktuellen Rentenwerts – bis die Rücklage ihren unteren Schwellenwert erreicht und von da an umso kräftigere (anpassungsdämpfende) Beitragssprünge notwendig wären. An beidem dürfte kein für die Rentenpolitik Verantwortlicher ein Interesse haben. Reizvoll bleibt der »dynamisierte Standardrentner« am Ende wohl nur für die rechnerische »Aufhübschung« des Rentenniveaus.
[1] iwd, Rente realistisch gerechnet (10.11.2016)
[2] Deutsche Bundesbank, Monatsbericht August 2016, Öffentliche Finanzen, S. 70
[3] SVR, Zeit für Reformen, JG 2016/17, Siebtes Kapitel, Ziff. 632