Analyse zur Riester-Treppe

Riester-Treppe bildet willkürliches Element in der Anpassungsformel

Bundesregierung bestätigt Studie von Portal Sozialpolitik

Johannes Steffen | Mai 2013

Die Bundesregierung hat die von Portal Sozialpolitik vorgelegte Analyse zum Ausmaß der negativen Wirkungen des Altersvorsorgeanteils – landläufig auch »Riester-Treppe« genannt – auf die Rentenentwicklung bestätigt. In der Anpassungsformel für die Renten spiegele »die achtstufige »Riester-Treppe« einen abstrakten Wirkungsgrad des Vorsorgesparens wider«, so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine entsprechende Frage der Abgeordneten Dagmar Enkelmann (DIE LINKE), und sei damit »unabhängig vom Umfang (…) der durchschnittlichen Aufwendungen für die private Vorsorge je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer«.

Portal Sozialpolitik hatte zuvor darauf hingewiesen, dass die sogenannte Riester-Treppe in den Jahren 2003 bis 2013 zu einer Abkoppelung der Renten von der Lohnentwicklung im Umfang von rund fünf Prozentpunkten beigetragen hat ( Wirkungsanalyse der »Riester«-Treppe). Ginge es hingegen darum, die tatsächlichen Aufwendungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die geförderte private Altersvorsorge (Eigenanteil) anpassungsmindernd zu berücksichtigen, so ließe sich damit eine Dämpfungswirkung von maximal einem Prozentpunkt rechtfertigen. Der Grund: Die rentenversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenden nach den Daten der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen [1] nicht einmal ein Fünftel des »abstrakt« unterstellten jährlichen Vorsorgevolumens für die »Riester-Rente« auf. Insofern bilde die Riester-Treppe, so das Fazit von Portal Sozialpolitik, in der Rentenanpassungsformel ein willkürlich gesetztes Element.

Die Riester-Treppe war unter der rot-grünen Bundesregierung Anfang des vergangenen Jahrzehnts mit der Begründung in die Anpassungsformel eingeführt worden, dass die Aufwendungen für die geförderte Altersvorsorge (»Riester-Rente«) den Anstieg der Löhne und Gehälter ab 2002 ebenso verminderten wie ein steigender Beitragssatz zur Rentenversicherung und daher wie dieser bei der lohnbezogenen Dynamisierung der Renten anpassungsmindernd in Rechnung zu stellen sei.

Bereits kurz nach Bekanntwerden der Studie erklärte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) allerdings auch, die Riester-Treppe »sei eingeführt worden, um die Rente durch Niveauabsenkung bezahlbar zu halten«. Ihre Stufen seien seinerzeit »unabhängig vom tatsächlichen Riestern« festgelegt worden; es handele sich um eine »abstrakte Größe«, in die darüber hinaus auch andere Vorsorgeformen - etwa betriebliche Altersvorsorge - mit einzurechnen seien, und die Bundesregierung sehe daher keinen Anlass für eine Korrektur – so die diesbezügliche dpa-Meldung vom 17. April 2013, 14:42 Uhr. Da lohnt ein kurzer Faktencheck.

1. Kein Anlass zur Korrektur?

Während der zweiten und dritten Lesung der »Riester-Reform-Gesetze« am 26. Januar 2001 schickte die oppositionelle Unionsfraktion die CDU-Vorsitzende und heutige Bundeskanzlerin als Frontfrau ans Rednerpult. Ihre Kritik an der »Riester-Treppe« in Richtung der rot-grünen Regierungsfraktionen: »Wenn es nach Ihnen geht, (soll künftig) eine Anpassungsformel gelten, die die zusätzliche, neue Säule der privaten Altersvorsorge mit der gesetzlichen Rentenversicherung in unzulässiger Weise verbindet. Denn mit ihr verändern Sie die Lohnsumme jedes Jahr um den Betrag, der fiktiv in die freiwillige Vorsorge eingezahlt werden sollte, aber niemals zu 100 Prozent eingezahlt werden wird, weil von der Möglichkeit der freiwilligen Vorsorge natürlich nicht alle in gleicher Weise Gebrauch machen werden.« [2] – Zwölf Jahre später sieht die von Angela Merkel geführte Bundesregierung demgegenüber keinen Anlass mehr zur Korrektur.

2. Niveauabsenkung als ausdrückliches Ziel?

Ziel der Riester-Treppe war von Anfang an die Abkoppelung der Renten- von der Lohnentwicklung; dies führt zu einer Senkung des Rentenniveaus, wenn der fiktive Aufwand der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die geförderte Altersvorsorge (Riester-Treppe) dauerhaft höher ausfällt als deren tatsächlicher Aufwand. Genau das aber wurde seinerzeit von Rot-Grün ausgeschlossen; vielmehr ging man davon aus, dass alle rentenversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von den Dämpfungswirkungen der Riester-Treppe betroffen sein würden, zusätzlich im Umfang der staatlichen Förderbarkeit private Vorsorge betreiben werden.

Definition des Rentenniveaus

Nur dann, wenn im Zeitablauf sowohl der Zähler (durch die Riester-Treppe gedämpfte Rentenentwicklung) als auch der Nenner (durch den zusätzlichen Vorsorgeaufwand gedämpfte Entwicklung der Löhne und Gehälter) die gleiche relative Entwicklung nehmen, bleibt das rechnerisch ausgewiesene Rentenniveau c. p. nahezu unverändert. Genau dies war die von Rot-Grün seinerzeit propagierte Lesart - und nicht etwa primär die Senkung des Rentenniveaus. So hieß es im Begründungsteil des Gesetzentwurfs mit Blick auf die Riester-Treppe: »Das Rentenniveau bleibt nahezu unverändert, da durch die Berücksichtigung des Aufwands für die geförderte zusätzliche Altersvorsorge auch die Nettolöhne geringer ansteigen.« [3] Schließt man eine willentliche Irreführung des Parlaments aus, so gingen die damaligen Regierungsfraktionen und die damalige Bundesregierung davon aus, dass die fiktiven Werte der Riester-Treppe auf der einen Seite und die tatsächlichen prozentualen Aufwendungen der abhängig Beschäftigten für die zusätzliche Altersvorsorge auf der anderen Seite – zumindest auf mittlere Sicht – annähernd übereinstimmen müssen.

3. Riester-Treppe nur eine abstrakte Größe?

Das aber bedeutet, dass die Riester-Treppe eben nicht unabhängig vom Umfang des tatsächlichen Riesterns konzipiert wurde. Zwar war die Abhängigkeit nicht als rechnerisch exakte Entsprechung ausgelegt, wohl aber im Sinne eines auf die tatsächliche Traglast abzielenden konzeptionellen Zusammenhangs.

Genau in diesem Sinne argumentierte die rot-grüne Koalition im Begründungsteil des Gesetzentwurfs mit Bezug auf die neue Anpassungsformel: »Die Veränderungen bei den Aufwendungen der Arbeitnehmer für die geförderten Altersvorsorgeverträge (…) werden gleichfalls berücksichtigt, da die Aufwendungen für die private Vorsorge maßgeblich die Entwicklung der verfügbaren Nettolöhne (...) mitbestimmen.« [4] Nur eine konkrete, nicht aber eine »abstrakte Größe« kann die verfügbaren Nettolöhne beeinflussen.

Katrin Göring-Eckardt, seinerzeit Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, bestätigte dies während der ersten Lesung des Gesetzentwurfs, indem sie zur Qualität des Altersvorsorgeanteils in der neuen Anpassungsformel ausführte: »Das ist ein Betrag, der den Jüngeren nicht im Portemonnaie verbleibt, der ihnen nicht zur Verfügung steht; deshalb wird er bei der Nettolohnentwicklung nicht berücksichtigt.« [5] Gemeint war selbstverständlich die tatsächliche Zusatzbelastung der Beschäftigten und nicht etwa eine »abstrakte Größe«, die im Portemonnaie fehlt. – Und auch Peter Dreßen (SPD) brachte die Sicht der Regierungskoalition während der zweiten und dritten Lesung wie folgt auf den Punkt: »Ich bin mir sicher, dass viele – 80, 90 oder gar mehr Prozent – die Möglichkeit der zusätzlichen Altersvorsorge in Anspruch nehmen werden und dafür freiwillig Leistungen erbringen.« [6] So – und nur so – wurden die gesetzlich vorgegebenen Werte der Riester-Treppe inhaltlich begründet.

An keiner Stelle des Gesetzentwurfs war die Rede davon, dass es sich beim Altersvorsorgeanteil der neuen Rentenanpassungsformel lediglich um fiktive oder »abstrakte« Werte handeln werde.

4. Riester-Treppe umfasst auch betriebliche Altersversorgung?

Laut dpa wies der Sprecher des BMAS zudem darauf hin, dass in die »abstrakte Größe« (Riester-Treppe) auch andere Vorsorgeformen – wie die betriebliche Altersversorgung – einzurechnen seien; ähnlich argumentiert die Bundesregierung in ihrer oben erwähnten Antwort.

Der Verweis auf die betriebliche Altersversorgung ist im vorliegenden Zusammenhang schlicht eine Falschinformation. Auf diese Weise wird die Riester-Treppe unter der Definitionshoheit der Bundesregierung im Nachhinein politisch-konzeptionell nicht nur wertmäßig in eine »abstrakte«, sondern zudem auch noch inhaltlich in eine »beliebige« Größe uminterpretiert.

Der Aufbau staatlich geförderter betrieblicher Altersversorgung kann auf zwei unterschiedlichen Wegen erfolgen: Einmal in Form des betrieblichen »Riesterns« und ein anderes Mal in Form der steuer- und beitragsfreien Bruttoentgeltumwandlung.

Wird betrieblich »geriestert«, so sind die hierfür erbrachten Eigenanteile der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den oben erwähnten Daten der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen bereits enthalten und dürfen nicht noch einmal hinzugerechnet werden.

Erfolgt betriebliche Altersversorgung dagegen über die steuer- und beitragsfreie Bruttoentgeltumwandlung, so wird deren Dämpfungswirkung auf die Entwicklung der Renten nicht über die Riester-Treppe realisiert, sondern im Wege der rechnerischen Gewichtung der Bruttolohn- und -gehaltsentwicklung mit der Entwicklung der (um die umgewandelten Entgeltbeträge geminderten) beitragspflichtigen Löhne und Gehälter. Näheres hierzu auch in unserer Info-Grafik: Entgeltumwandlung und »Riestern« – Auswirkung auf Rentenanpassung und Rentenniveau.

5. Fazit

Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Aufwendungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die staatlich geförderte private Altersvorsorge bildet die Riester-Treppe in der Anpassungsformel für die Renten ein willkürlich – mit den Worten der Bundesregierung ein »abstrakt« – gesetztes Element. Die Renten werden von 2003 bis 2013 um rund das Fünffache des tatsächlich erbrachten Eigenanteils der Beschäftigten zur privaten Altersvorsorge von den Löhnen abgekoppelt.

[1] Vgl. Stolz, U., Rieckhoff, Ch., Zulagen in Höhe von 2,4 Mrd. EUR: Förderung der Riester-Rente für das Beitragsjahr 2009, RVaktuell 12/2012.
[2] Dr. Angela Merkel (CDU/CSU), Plenarprotokoll 14/147 vom 26.1.2001, S. 14408 (D).
[3] Altersvermögensgesetz, Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BTDrs 14/4595 vom 14.11.2000, S. 82.
[4] Ebd. S. 47.
[5] Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), Plenarprotokoll 14/133 vom 16.11.2000, S. 12762 (A).
[6] Peter Dreßen (SPD), Plenarprotokoll 14/147 vom 26.1.2001, S. 14437 (B).

Dokument als PDF-File