Riester-Treppe

Wirkungsanalyse der »Riester«-Treppe

Johannes Steffen | April 2013 [1]

Mit dem rot-grünen Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspolitik zu Beginn des Jahrhunderts wurden die Weichen für eine drastische Senkung des Rentenniveaus gestellt. Bis in die 2030er Jahre kann das Rentenniveau (Sicherungsniveau vor Steuern) um rd. ein Fünftel von seinerzeit 53% auf nur noch 43% sinken (Übersicht 1). Während die für die Rentenanpassung maßgeblichen Durchschnittsentgelte nach den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) von 2002 bis 2012 um rd. 17% im Westen und rd. 19% im Osten gestiegen sind, wurden die ihnen zeitverzögert folgenden Renten von 2003 bis 2013 nur um rd. 9% bzw. rd. 13% erhöht (Übersicht 2).

Sicherungsniveau vor Steuern

Die technische Realisierung der Abkoppelung der Renten- von der Lohnentwicklung erfolgt über die sog. »Dämpfungs«-Faktoren der Rentenanpassungsformel (Formel). Hierzu zählen gemeinhin der »Riester«-Faktor mit seinen beiden Elementen Altersvorsorgeanteil (AVA), auch »Riester«-Treppe genannt, und Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung (RVB), der seit 2005 wirksame Nachhaltigkeits-Faktor (NF) sowie die seit 2006 im Rahmen des Bruttoentgelt-Faktors (BEF) vorzunehmende Gewichtung der VGR-Entgelte (BE) mit der Entwicklung der beitragspflichtigen Entgelte (bBE).

Rentenanpassungsformel

So hat die »Riester«-Treppe (Tabelle 1) von 2003 bis zur Anpassung 2013 bei isolierter Betrachtung zu einer Abkoppelung der Renten- von der Lohnentwicklung in einem Umfang von 5,08 Prozentpunkten beigetragen (Übersicht 3). Damit geht der überwiegende Anteil der bisherigen anpassungsmindernden Wirkung aller »Dämpfungs«-Faktoren zusammen alleine auf das Konto des Altersvorsorgeanteils.

Löhne und Renten

Zur Abkoppelung von der VGR-Entgeltentwicklung beigetragen haben unterm Strich im Einzelnen in einem Umfang von

  • minus 5,08 Prozentpunkten die »Riester«-Treppe,
  • minus 0,12 Prozentpunkten die Veränderung des Beitragssatzes zur allgemeinen Rentenversicherung,
  • plus 0,03 Prozentpunkten der seit der Anpassung 2005 zu berücksichtigende Nachhaltigkeits-Faktor und
  • minus 2,37 (neue Länder: minus 1,11) Prozentpunkten die seit der Anpassung 2006 vorzunehmende Gewichtung der VGR-Entgelte mit der Entwicklung der beitragspflichtigen Entgelte.

Greift man auf die Entwicklung der VGR-Entgelte als Referenzgröße zurück (VGR-BE), so blieben die Renten im Zeitraum 2003 bis 2013 im Westen um insgesamt 7,54 Prozentpunkte und im Osten um 6,28 Prozentpunkte hinter der Lohnentwicklung zurück (Übersicht 3, Spalte [A]).

Dämpfungswirkungen 2003 bis 2013

Maßstab für die verteilungspolitische Bewertung kann allerdings nicht die reine Bruttolohnorientierung der Renten sein. Auch bei der bis zum rot-grünen Paradigmenwechsel praktizierten Nettolohnanpassung der Renten waren beispielsweise Belastungsänderungen der Versicherten durch Beiträge zur Renten- und zur Arbeitslosenversicherung anpassungsrelevant. [2] Zum anderen ist zu bedenken, dass die Basisgrößen für die Berechnung der Rentenanpassung einerseits und für die Entwicklung der Beitragseinnahmen der Rentenversicherung andererseits übereinstimmen sollten. [3] Bezogen auf die Quantifizierung der Dämpfungswirkungen spricht der erste Hinweis für ein Außerachtlassen von Beitragssatzänderungen zur allgemeinen Rentenversicherung und der zweite Hinweis verlangt aus systematischen Gründen nach einem Vergleich der Rentenanpassungen mit der Entwicklung der rentenversicherungspflichtigen Bruttolöhne und -gehälter.

Greift man bei der Beurteilung auf die insoweit modifizierte Referenzgröße zurück, so reduziert sich die Anzahl der »Dämpfungs«-Faktoren auf die »Riester«-Treppe und den Nachhaltigkeits-Faktor. Deren Dämpfungswirkungen summieren sich im Zeitraum 2003 bis 2013 in West wie Ost auf zusammen 5,05 Prozentpunkte (Übersicht 3, Spalte [B]).

Dies wiederum macht deutlich, dass der Nachhaltigkeits-Faktor die ihm zugedachte Dämpfungs-Funktion jedenfalls unterm Strich noch nicht erfüllen konnte. Diese Aufgabe hat bislang faktisch alleine die »Riester«-Treppe übernommen. Mit einem in Zukunft voraussichtlich deutlich steigenden Rentnerquotienten ist jedoch bereits absehbar, dass das Einsetzen der dauerhaft anpassungsmindernden Wirkung des Nachhaltigkeits-Faktors lediglich eine Frage der Zeit ist.

Riester-Treppe

Der Einbeziehung des Altersvorsorgeanteils in die Formel zur Fortschreibung der aktuellen Rentenwerte liegt die Fiktion zugrunde, dass ab dem Jahr 2002 alle Arbeitnehmer im Umfang der staatlichen Förderbarkeit zusätzliche private Altersvorsorge betreiben. Dadurch aber, so die Begründung, reduziere sich deren Nettoentgelt ebenso wie bei einem steigenden Beitragssatz zur Rentenversicherung. Da die neue Anpassungsformel alle Änderungen bei der Belastung der Aktiven durch Beiträge zur Altersvorsorge an die Rentner weiter geben soll, müssten auch die Aufwendungen für die staatlich geförderte private Altersvorsorge entsprechend berücksichtigt werden. Um die Auswirkungen auf die jährlichen Anpassungssätze zu glätten, wurde die Erhöhung des AVA seinerzeit auf jährlich 0,5 Prozentpunkte festgelegt (Tabelle 1). Der staatlich förderfähige Anteil stieg hingegen von 1% des beitragspflichtigen Bruttoentgelts im Jahr 2002 in Zweijahresschritten um jeweils einen Prozentpunkt auf sein Maximum von 4% seit dem Jahr 2008. – Zwischenzeitlich wurde die »Riester«-Treppe zweimal gestreckt:

  • Ausgehend von dem Beschluss der Kabinettsklausur am 19.10.2003 wurde die Rentenanpassung 2004 ausgesetzt. Ohne entsprechende Verlängerung der »Riester«-Treppe wäre damit allerdings eine ihrer insgesamt acht Stufen nicht anpassungswirksam geworden. Daher blieb der AVA 2003 unverändert bei 0,5% und die Treppe wurde bis zum Jahr 2010 verlängert.
  • Mit dem Gesetz zur Rentenanpassung 2008 wurde der Anstieg der »Riester«-Treppe für die Jahre 2007 und 2008 ausgesetzt und ihre letzte Stufe auf das Jahr 2012 verschoben. Damit sollte in den Jahren 2008 und 2009 (Bundestagswahljahr) ein höherer Anpassungssatz realisiert werden, um – so die Begründung – auch den Rentnern eine Teilhabe am wirtschaftlichen Aufschwung zu ermöglichen.

Rentenanpassungssätze

Dass die dem AVA zugeschriebene Begründung mit den realen Verhältnissen bislang wenig zu tun hat und die »Riester«-Treppe insoweit eine politisch eher willkürlich gesetzte Marke darstellt, kann die folgende überschlägige Rechnung näherungsweise beziffern (Tabelle 2):

Seit dem Jahr 2008 wären der AVA-Fiktion zufolge (einschließlich der staatlichen Zulage) 4% des (vorjährigen) beitragspflichtigen Bruttoentgelts als »Riester«-Prämie aufzuwenden gewesen. Die Summe des rentenversicherungspflichtigen Bruttoentgelts belief sich im Jahr 2008 auf 807,7 Mrd. Euro. [4] Demnach hätte das Prämienvolumen für die staatlich geförderte Altersvorsorge im Jahr 2009 4% der beitragspflichtigen Bruttoentgeltsumme 2008, also 32,3 Mrd. Euro betragen müssen. Das tatsächliche Beitragsvolumen (Eigenbeiträge plus Zulagen) summierte sich 2009 [5] demgegenüber auf lediglich 8,1 Mrd. Euro. [6] Dies waren gerade einmal 25% der nach der AVA-Logik unterstellten Summe – ohne Einbeziehung der staatlichen Zulagen betrug der Anteil sogar nur knapp 18%. Die Zwischenergebnisse für die Beitragsjahre 2010 und 2011 deuten darauf hin, dass sich an diesen Relationen zwischenzeitlich nichts Wesentliches geändert hat. [7]

Beitragsvolumen Riester-Rente

Indem auch die aus dem Steueraufkommen, zu dem die Rentner ja ebenfalls ihren Anteil leisten, finanzierte Zulage über die AVA-Fiktion anpassungsmindernd wirkt, werden die Rentner zweifach belastet – einmal im Umfang ihres tatsächlichen Anteils an der Finanzierung der staatlichen Zulagenförderung und ein weiteres Mal dadurch, dass die (von ihnen mit zu finanzierende) Zulage im Rahmen des fiktiven AVA die Höhe des Rentenanpassungssatzes vollumfänglich negativ beeinflusst.

Ginge es demgegenüber tatsächlichen darum, die realen Aufwendungen der Arbeitnehmer für die private Altersvorsorge im Rentenanpassungsverfahren mindernd zu berücksichtigen, so dürften die Wirkungen des AVA seit der Anpassung 2003 bis heute statt mit rund fünf Prozentpunkten nur mit maximal einem Prozentpunkt zu Buche schlagen. In der Rentenanpassungsformel bildet die »Riester«-Treppe ein willkürlich gesetztes Element, das seine Begründung alleine in politisch vorgegebenen Verteilungszielen findet (Rentenniveausenkung zwecks Beitragssatzdeckelung).

[1] Auszug aus: Steffen, J., Die Anpassung der Renten in den Jahren 2003 bis 2013 - Zugleich eine Wirkungsanalyse der »Riester«-Treppe, Berlin 2013.
[2] Beitragssatzänderungen zur Kranken- und Pflegeversicherung betrafen auch die Renten und waren insoweit im Ergebnis anpassungsneutral.
[3] So bereits Schmähl, W., Lohn- und beschäftigungsstatistische Grundlagen zur adäquaten Ermittlung des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts in der Rentenversicherung, DRV 1984, S. 187-201.
[4] Ermittelt aus dem Beitragsvolumen der versicherungspflichtig Beschäftigten, der geringfügig Beschäftigten und der Bezieher von Arbeitslosengeld.
[5] 2009 bildet z. Zt. das letzte abgeschlossene und statistisch ausgewertete Beitragsjahr der »Riester«-Renten-Förderung.
[6] Vgl. Stolz, U., Rieckhoff, Ch., Zulagen in Höhe von 2,4 Mrd. EUR: Förderung der Riester-Rente für das Beitragsjahr 2009, RVaktuell 12/2012, S. 391. – Nicht berücksichtigt sind hierbei Daten zur zusätzlichen Steuerermäßigung aufgrund des Sonderausgabenabzugs und Fälle sog. schädlicher Verwendung, in denen die Förderung zurück zu zahlen ist. Andererseits umfasst das Volumen von 8,1 Mrd. Euro auch das auf Beamte und (nur) mittelbar Förderfähige entfallende Beitragsvolumen. Beide Gruppen zusammen stellten knapp 11% der Zulagenempfänger 2009; vgl. ebd.
[7] Ebd.

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