Rückkauf von Rentenabschlägen
Für Ost-Versicherte zurzeit ein »doppeltes Schnäppchen«
Sozialpolitisch ambivalenter Rückkauf von Rentenabschlägen
02. November 2017 | Wer eine Altersrente vorgezogen in Anspruch nehmen will, muss mit Abschlägen rechnen. Allerdings lässt sich die Rentenminderung durch zusätzliche Beiträge ausgleichen. Und trotzt des Rentenüberleitungs-Abschlussgesetzes können deutlich mehr Ost-Versicherte als anzunehmen war dabei ein »doppeltes Schnäppchen« machen. Zum einen ist der »Kurs« für den Ausgleich von Abschlägen im Osten derzeit günstiger als im Westen und zum anderen können aktuell im Osten Pflichtversicherte – vor allem mittleren und jüngeren Alters – mehr Rentenpunkte zurückkaufen als sie infolge der Abschlagsregelung voraussichtlich verlieren.
Grundlage für die Zahlung zusätzlicher Beiträge zum Ausgleich von Rentenabschlägen ist § 187a SGB VI [1]. Beiträge können bis zu der Höhe geleistet werden, die sich ergibt, wenn der Verlust an Entgeltpunkten (EP) mit dem Umrechnungsfaktor (UF) vervielfältigt und durch den Zugangsfaktor (ZF) geteilt wird:
EPAbschlag x UF(t) / ZF= erforderlicher Beitragsaufwand(t).
Beim Umrechnungsfaktor handelt es sich um den Jahresbeitrag zur Rentenversicherung auf das vorläufige Durchschnittsentgelt der Anlage 1 zum SGB VI. Sollen Entgeltpunkte (Ost) ausgeglichen werden, so wird der Umrechnungsfaktor (Ost) aus dem Jahresbeitrag auf das niedrigere ostdeutsche Durchschnittsentgelt ermittelt; dieses wiederum ergibt sich, indem das vorläufige Durchschnittsentgelt durch den vorläufigen Umrechnungswert der Anlage 10 zum SGB VI geteilt wird. Zurzeit kostet ein EP 6.938,26 Euro und ein EP(O) 6.198,75 Euro. Der Preis steigt mit jedem vorgezogenen Monat, weil der ZF, der die Abschlagshöhe bestimmt, pro Monat um 0,003 Punkte sinkt. Auf diese Weise werden auch die Abschläge ausgeglichen, die später auf die zusätzlich erworbenen Punkte entfallen. Bei einer um vier Jahre vorgezogenen Rente kostet ein persönlicher Entgeltpunkt derzeit
1 pEP x (0,187 x 37.103) / 0,856 = 8.105,45 Euro bzw.
1 pEP(O) x (0,187 x 37.103 / 1,1193) / 0,856 = 7.241,53 Euro.
Im Vergleich zu West-Versicherten können Ost-Versicherte ihre Abschläge zu einem »Kurs« von 89,34 Prozent (2018: 88,90 Prozent) zurückkaufen – erwerben aber ab Mitte 2024 einen gleich hohen Gegenwert wie West-Versicherte. Denn von da an gilt bundesweit ein einheitlicher aktueller Rentenwert und an die Stelle von EP (Ost) treten EP. Auch die Abschläge für Rentenzugänge ab Juli 2024 werden deshalb einheitlich in EP bemessen.
Damit stellt sich die Frage, ob die günstigen Konditionen für den Rückkauf von Abschlägen nur noch für rentennahe Jahrgänge gelten (Rentenzugang vor Juli 2024) oder ob sie bis dahin grundsätzlich allen Ost-Versicherten zugänglich bleiben. Kurzum: Ist für die Anwendung des Umrechnungsfaktors (Ost) der Zeitpunkt des Rentenbeginns maßgebend oder aber der Zeitpunkt der Beitragszahlung? – Es soll weiterhin der Zeitpunkt der Beitragszahlung sein; so wird es der zuständige Fachausschuss der Rentenversicherung Mitte November voraussichtlich verbindlich klarstellen.
Beitragszahlungen nach § 187a SGB VI können Versicherte seit Juli bereits ab vollendetem 50. Lebensjahr leisten – bei Vorliegen eines berechtigten Interesses aber auch schon (weit) früher; ein berechtigtes Interesse liegt wegen des derzeit günstigen »Kurses« für den Rückkauf bei Ost-Versicherten zweifellos vor. So kann selbst ein heute erst vierzigjähriger Versicherter, der 2040 mit 63 Jahren eine um vier Jahre vorgezogene Altersrente beanspruchen will, die günstigen Konditionen für sich beanspruchen.
Je größer aber der Zeitraum zwischen Beitragszahlung und Rentenbeginn ausfällt, umso mehr greift ein weiterer Effekt Platz: Die Überkompensation der Abschläge. Denn zur Ermittlung der abschlagsgeminderten EP wird für sämtliche Kalendermonate an künftigen (noch nicht realisierten) rentenrechtlichen Zeiten von der aktuellen Entgeltposition des Versicherten ausgegangen. Künftige Ost-Entgelte werden dabei gegenwärtig um rund zwölf Prozent (auf Westniveau) hochgewertet. Bereits heute steht aber fest, dass die Hochwertung ab 2019 deutlich sinkt und ab 2025 gänzlich entfällt. Dennoch werden für die Zukunft Anwartschaften unterstellt, die bei Fortschreibung der aktuellen relativen Entgeltposition unter Wegfall der Hochwertung nicht erreicht werden. Folglich werden auch die Abschläge auf künftige EP zum Zeitpunkt der Beitragszahlung zu hoch ausgewiesen. Wer heute die maximal möglichen Beiträge leistet, kauft also mehr Entgeltpunkte zurück als bei dem unterstellten weiteren Erwerbseinkommensverlauf tatsächlich als Abschlag anfallen können. Oder anders: Unter Fortschreibung der aktuellen Entgeltposition ist für den Ausgleich der später tatsächlich anfallenden Rentenabschläge ein geringerer finanzieller Aufwand erforderlich als er sich derzeit nach der Berechnungsformel (Ost) ergibt. Die Konditionen verbessern sich hierdurch noch einmal. – All dies setzt jedoch voraus, dass sich Ost-Versicherte, die über entsprechende finanzielle Mittel verfügen, bis Ende 2018 entscheiden; denn ab 2019 sinkt der ostspezifische Vorteil und ab 2025 entfällt er gänzlich.
2017 (2018*) kostet der Rückkauf eines Entgeltpunktes bei einer um … Monate vorgezogenen Altersrente … Euro
vorgezogene Monate |
Abschlag in Prozent |
Zugangs- faktor |
1 pEP** | 1 pEP(O)*** |
6 | 1,8 | 0,982 | 7.065,44 | 6.312,37 |
(7.173,50) | (6.377,58) | |||
12 | 3,6 | 0,964 | 7.197,37 | 6.430,24 |
(7.307,45) | (6.496,66) | |||
18 | 5,4 | 0,946 | 7.334,31 | 6.552,59 |
(7.446,49) | (6.620,28) | |||
24 | 7,2 | 0,928 | 7.476,57 | 6.679,69 |
(7.590,92) | (6.748,69) | |||
30 | 9.0 | 0,910 | 7.624,46 | 6.811,81 |
(7.741,07) | (6.882,18) | |||
36 | 10,8 | 0,892 | 7.778,32 | 6.949,27 |
(7.897,28) | (7.021,06) | |||
42 | 12,6 | 0,874 | 7.938,51 | 7.092,39 |
(8.059,93) | (7.165,66) | |||
48 | 14,4 | 0,856 | 8.105,45 | 7.241,53 |
(8.229,41) | (7.316,33) | |||
* Bei einem Beitragssatz von 18,6 Prozent ** UF 2017 = 6938,2610 *** UF(O) 2017 = 6198,7501 |
Sozialpolitisch ist die in Ost wie West faktisch weit vor Rentenbeginn gegebene Möglichkeit zur Zahlung zusätzlicher Beiträge eine fragwürdige Angelegenheit. Vor dem Hintergrund perspektivisch steigender Beitragssätze müssen die zusätzlich erworbenen Anwartschaften später von allen Versicherten finanziert werden. Der Gewinn des Einzelnen ist Ergebnis einer vergleichsweise risikoarmen Spekulation gegen das pflichtversicherte Kollektiv. Für Versicherte mit entsprechendem Finanzpolster wird die Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung damit zu einem Teil individuell gestaltbar und zeitlich »verzerrt«. Um diesen instrumentell bedingten »Spekulations-Gewinn« zu begrenzen, sollte die Möglichkeit zur Zahlung zusätzlicher Beiträge nach § 187a SGB VI ausnahmslos auf rentennahe Altersgruppen begrenzt werden.