Verlängerung der Zurechnungszeit

Verlängerung der Zurechnungszeit um zwei Jahre

Abschläge und Rentenniveausenkung bleiben unangetastet

Johannes Steffen | Dezember 2013

Die Erwerbsminderungsrenten befinden sich im Sinkflug. Ihr durchschnittlicher Zahlbetrag liegt schon länger deutlich unterhalb des Grundsicherungsbedarfs. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD verspricht Abhilfe: »Wir werden die Zurechnungszeit bei der Erwerbsminderungsrente zum 1. Juli 2014 um zwei Jahre anheben«, heißt es dort. Und weiter: »Für die letzten vier Jahre vor der Erwerbsminderungsrente erfolgt eine Günstigerprüfung.« Die Verlängerung der Zurechnungszeit und die Günstigerprüfung bei deren Bewertung sind richtige und wichtige Schritte. Unter Beibehaltung der Rentenabschläge und der weiteren Rentenniveausenkung bleibt das Koalitionsvorhaben aber deutlich hinter den sozialpolitischen Erfordernissen zurück.

Zurechnungszeit ist heute die Spanne zwischen dem Eintritt von Erwerbsminderung (EM) und dem vollendeten 60. Lebensjahr. Da der Versicherungsfall schon in jungen Jahren eintreten kann, reichen die bis dahin erworbenen Anwartschaften für die soziale Absicherung meist nicht aus. Die Zurechnungszeit schließt die Lücke im Erwerbs- und Erwerbseinkommensverlauf, die infolge der Erwerbsminderung entsteht. Bei einem Zugangsalter in EM-Rente von zuletzt im Schnitt 50,7 Jahren entfällt in der Regel fast ein Viertel der Versicherungsbiografie auf die Zurechnungszeit.

Bewertet wird die Zurechnungszeit im Rahmen der sogenannten Gesamtleistungs-bewertung. Der individuelle Gesamtleistungswert bildet (vereinfacht) die bis zum Eintritt der Erwerbsminderung im Durchschnitt erreichte Entgeltposition ab; diese Position wird über die Zurechnungszeit bis zum Alter von 60 Jahren fortgeschrieben und erhöht dadurch die Summe der Entgeltpunkte (EP).

Der Sinkflug der Zahlbeträge hat vielfältige Ursachen . Zu nennen sind politische Maßnahmen wie die stufenweise Einführung von Abschlägen in den Jahren 2001 bis 2003, die bei Bezug der EM-Rente vor vollendetem Referenzalter (2012: 60 Jahre und ein bis sechs Monate) 10,8 Prozent betragen. Zuletzt waren 96,4 Prozent des Rentenzugangs mit Abschlägen von im Schnitt 10,3 Prozent belegt. Hinzu kommen sozio-demografische Änderungen in der Zusammensetzung der Rentenzugänge. Die zunehmende Bedeutung von Niedriglöhnen, Langzeitarbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung und rentenrechtlicher Lücken führt unterm Strich zu weniger Rentenanwartschaften. Bei Männern ist die bis zum Versicherungsfall erreichte Entgeltposition im Bundesdurchschnitt von 0,9554 EP (Zugang 2000) auf 0,7874 EP (Zugang 2012) gesunken. Bei Frauen fiel der Wert von 0,9002 EP auf 0,8340 EP. Ein sinkender Gesamtleistungswert mindert aber automatisch auch den Wert der Zurechnungszeit.

So kann etwa der Bezug von ALG II (bis 2010) wegen der sehr niedrigen Beiträge den Gesamtleistungswert senken. Wer beispielsweise im Jahr 2011 nach 28 Beitragsjahren mit einer Entgeltposition von 80 Prozent in EM-Rente ging und zuvor noch ein Jahr ALG II bezogen hat, dessen Gesamtleistungswert fiel von 80 Prozent auf 77,5 Prozent. Vergleichbare Wirkungen hat etwa eine gesundheitsbedingte Arbeitszeitreduzierung vor Eintritt der EM. Die Günstigerprüfung der letzten Jahre könnte diese Rückwirkungen auf den Wert der Zurechnungszeit vermeiden.

Für den Rentenzugang 2012 hätte eine Verlängerung der Zurechnungszeit um zwei Jahre eine Zahlbetragserhöhung von rund sechs Prozent zur Folge gehabt. Die Wirkung der Günstigerprüfung kann hierbei wegen fehlender Daten nicht berücksichtigt werden. Damit läge der durchschnittliche Zahlbetrag aber nur bei den Männern im Westen mit 683 Euro wieder knapp über dem Grundsicherungsbedarf dauerhaft voll Erwerbsgeminderter außerhalb von Einrichtungen (679 Euro). Hätte sich die Koalition auch zur Abschaffung der Abschläge durchgerungen, könnte die Erhöhung der Zahlbeträge dreimal so hoch ausfallen. – Und: Die Senkung des Rentenniveaus von 49,4 Prozent (2012) auf 45,4 Prozent bis zum Jahr 2027 macht den kleinen Erfolg wieder zunichte. Auf heutiger Wertebasis würde der (rechnerisch) erhöhte Zahlbetrag dadurch um acht Prozent sinken. Verglichen mit den Löhnen wären die EM-Renten dann trotz verlängerter Zurechnungszeit weniger wert als sie es noch im Zugangsjahr 2012 ohne die längere Zurechnungszeit waren.

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