Tarifeinheitsgesetz

Gesetz zur Tarifeinheit

Inhalt

Regelung des Grundsatzes der Tarifeinheit nach dem betrieblichen Mehrheitsprinzip, Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Streiks, mit denen ein kollidierender Tarifvertrag erwirkt werden soll, anhand des Prinzips der Tarifeinheit und damit faktische Einschränkung des Streikrechts (kollidierende Tarifverträge sind solche, deren Geltungsbereiche sich zumindest teilweise überschneiden)

Vorentwürfe

Referentenentwurf des BMAS v. 28.10.2014

Referentenentwurf des BMAS v. 04.11.2014

Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Kabinettsbeschluss v. 11.12.2014)

Gesetzgebungsverfahren

Gesetzentwurf der Bundesregierung - BRDrs 635/14 v. 29.12.2014

Gesetzentwurf der Bundesregierung - BTDrs 18/4062 v. 20.02.2015

1. Lesung - Plenarprotokoll 18/91 v. 05.03.2015 (S. 8629 - 8645)

Schriftliche Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales am 04.05.2015

Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 04.05.2015

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales - BTDrs 18/4966 v. 20.05.2015

2. und 3. Lesung - Plenarprotokoll 18/107 v. 22.05.2015 (S. 6946 - 6955)

BGBl I Nr. 28 (2015) S. 1130 - Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz)

Materialien

Fragen zur gesetzlichen Tarifeinheit - Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - BTDrs 18/3760 v. 02.03.2015

Stellungnahme des DGB v. 18.11.2014 zum Referentenentwurf v. 04.11.2014

Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit - Eckpunktepapier des BMAS v. 25.06.2014

Bundesarbeitsgericht - Grundsatz der Tarifeinheit (Rechtsprechungsänderung) - Urteil vom 7.7.2010, 4 AZR 549/08

Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern – Tarifeinheit gesetzlich regeln. Gemeinsames Positionspapier von BDA und DGB v. 04.06.2010

TARIFEINHEITSGESETZ

Was ist mit Tarifeinheit gemeint?

Nach § 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) kann ein Arbeitgeber gleichzeitig an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein. Dies soll auch künftig so bleiben, sofern

  • die Tarifverträge inhaltsgleiche Regelungen aufweisen oder
  • sich ihr jeweiliger Geltungsbereich bei inhaltlich verschiedenen Regelungen nicht überschneidet (z.B. Regelungen für verschiedene Arbeitnehmergruppen).

Für den Fall allerdings, dass sich der Geltungsbereich nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften zumindest teilweise überschneidet (kollidierende Tarifverträge), soll im Betrieb künftig nur noch eine Regelungsnorm Anwendung finden (Grundsatz der Tarifeinheit). Begründet wird dies u.a. mit der Befriedungsfunktion des Tarifvertrages, die nach Auffassung der Koalition durch Tarifkollision beeinträchtigt wird. – Für Tarifverträge, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits gelten, kommt der Grundsatz der Tarifeinheit nicht zur Anwendung (Bestandsschutz); dies gilt allerdings nicht für (lediglich) nachwirkende Tarifverträge.

Betriebsbezogenes Mehrheitsprinzip

Welcher Tarifvertrag im Kollisionsfall zur Anwendung kommt, richtet sich nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip: Künftig soll die Norm des Tarifvertrages mit jener Gewerkschaft gelten, die zum Abschlusszeitpunkt des jüngsten (kollidierenden) Tarifvertrages die meisten Mitglieder im Betrieb hat (Mehrheitsgewerkschaft). Welche Gewerkschaft dies ist, wird im Zweifel beispielweise über notarielle Erklärungen nachzuweisen sowie von den Arbeitsgerichten zu entscheiden sein.

Mehrheits- und Minderheits-Tarifvertrag

Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft wird verdrängt, soweit sich die Geltungsbereiche der Tarifverträge jeweils in zeitlicher, räumlicher, fachlicher und persönlicher Hinsicht überschneiden (auflösungsbedürftige Tarifkollision). Schließt die Mehrheitsgewerkschaft einen Tarifvertrag, der nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfasst, wird der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft auch nur insoweit verdrängt. Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft kommt also ungeachtet der Kollisionsregel im Übrigen nach den allgemeinen Grundsätzen zur Anwendung.

Aber: Das »Kollisionsverbot« setzt nicht voraus, dass sich die Regelungsgegenstände der Tarifverträge decken. Vielmehr gilt der Grundsatz der Tarifeinheit auch dann, wenn die Tarifverträge unterschiedliche Regelungsgegenstände beinhalten, sofern es nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien des Mehrheitstarifvertrags entspricht, eine Ergänzung ihrer Regelungen durch Vereinbarungen mit konkurrierenden Gewerkschaften zuzulassen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: »Damit trägt das Gesetz dem Gedanken Rechnung, dass Gewerkschaften durch den Abschluss von Tarifverträgen eine ganzheitliche Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezwecken und einzelne, nicht ausdrücklich erfasste Regelungsgegenstände, nicht der Regelungskompetenz konkurrierender Gewerkschaften überlassen wollen.« – Wenn die Mehrheitsgewerkschaft im Tarifvertrag bestimmte Regelungsgegenstände ausspart, eröffnet dies der Minderheitsgewerkschaft insofern keine tarifliche Regelungsoption.

Wie lassen sich Tarifkollisionen vermeiden?

Tarifkollisionen lassen sich insbesondere vermeiden, indem

  • die Gewerkschaften ihre jeweiligen Zuständigkeiten abstimmen und ihre Tarifverträge somit für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten (sog. gewillkürte Tarifpluralität),
  • die Gewerkschaften gemeinsam ihre Tarifverträge in einer Tarifgemeinschaft verhandeln,
  • die Gewerkschaften, ohne in einer Tarifgemeinschaft verbunden zu sein, inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen,
  • eine Gewerkschaft den Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft nachzeichnet (sog. Anschlusstarifvertrag),
  • innerhalb eines Zusammenschlusses mehrerer Gewerkschaften verbandsinterne Konfliktlösungsverfahren genutzt werden oder
  • eine Gewerkschaft die Ergänzung ihres Tarifwerks durch tarifvertragliche Regelungen einer anderen Gewerkschaft gestattet.

Verhältnismäßigkeit von Streiks

Die Verhältnismäßigkeit von Streiks ist künftig (auch) nach dem neuen Grundsatz der Tarifeinheit zu beurteilen. Wenn in einem Betrieb der Tarifvertrag einer Mehrheitsgewerkschaft gilt und eine Minderheitsgewerkschaft dennoch zum Streik für einen kollidierenden Tarifvertrag aufruft, wäre dieser Streik »unverhältnismäßig« und damit nicht rechtmäßig; der Arbeitskampf würde vom Arbeitsgericht untersagt werden. Wenn die Mehrheitsgewerkschaft einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, wird es der Minderheitsgewerkschaft somit unmöglich gemacht, für einen Tarifvertrag zu streiken, da sie faktisch an die Friedenspflicht aus dem Mehrheitstarifvertrag gebunden ist. Einen Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht sieht die Koalition dadurch nicht gegeben.