Mindestlohn für Arbeit und Rente

Ein Mindestlohn für Arbeit und Rente

Erforderliche Höhe eines existenzsichernden Mindestlohns

Johannes Steffen | Februar 2015

In der politischen Diskussion um künftig vermehrt drohende Altersarmut wird häufig auf die zentrale Bedeutung des gesetzlichen Mindestlohns verwiesen. Als potenzielle Ursache weit weniger Aufmerksamkeit findet hingegen die drastische Senkung des Rentenniveaus; nicht selten gilt sie in der Debatte als unausweichliche oder doch unabänderliche politische Entscheidung. Wie hoch müsste ein Mindestlohn sein, der sowohl die »Hartz-IV«-Aufstockung vermeidet als auch im Alter eine Rente erwarten lässt, die wenigstens das Existenzminimum deckt? Und: Kann ein Mindestlohn überhaupt ein wirksames Instrument zum Ausgleich der Rentenniveausenkung sein?

Die Beantwortung der Fragen setzt bestimmte Annahmen voraus. Diese betreffen etwa die Höhe des Existenzminimums, die Haushaltsgröße oder auch die zu unterstellende Wochen- bzw. Lebensarbeitszeit. Als Referenzgröße für Lohn und Lohnersatz (Rente) dient hier ein Single in Vollzeitbeschäftigung. Die durchschnittliche tarifliche Wochenarbeitszeit betrug laut WSI-Tarifarchiv [1] zuletzt 37,7 Stunden und als (potenzielle) Lebensarbeitszeit wird die sogenannte Standarderwerbsbiografie mit 45 Beitragsjahren zugrunde gelegt. Zudem wird beim Existenzminimum auf ein Zwölftel des steuerlichen Grundfreibetrags (2015: 8.472 Euro [2]) zurückgegriffen – das sind 706 Euro im Monat. Bei einem Regelbedarf von aktuell 399 Euro (Regelbedarfsstufe 1) entfallen damit implizit 307 Euro auf Unterkunft und Heizung (KdU) [3].

Auf Basis dieser Annahmen lässt sich die Höhe des Mindestlohns bestimmen, der bei typisierender Betrachtung einen Anspruch auf aufstockende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II oder »Hartz IV«) ausschließt. Nach gegenwärtigem Stand wäre dies ein Brutto-Stundenlohn in Höhe von 8,17 Euro oder monatlich 1.333 Euro. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben verbleiben netto 1.006 Euro, wovon als sogenannter Erwerbstätigenfreibetrag insgesamt 300 Euro von der Anrechnung auf die Grundsicherung freigestellt sind. Übrig bleibt ein anrechenbares Einkommen von 706 Euro, so dass rechnerisch kein Anspruch mehr auf aufstockende SGB-II-Leistungen besteht.

Ein Mindestlohn von 8,17 Euro reicht aber nicht aus, um nach 45 Beitragsjahren auch eine Altersrente in Höhe des Existenzminimums zu erreichen. Die Rentenanwartschaften werden in Entgeltpunkten (EP) gemessen. Ein Jahr Beitragszahlung auf Basis des Durchschnittsentgelts ergibt genau einen Entgeltpunkt. Das (vorläufige) Durchschnittsentgelt für 2015 beläuft sich auf 34.999 Euro oder 2.917 Euro monatlich. Der Wert der EP hängt ab von der Höhe des aktuellen Rentenwerts (AR); dieser beträgt seit Juli 2014 im Westen 28,61 Euro. Ein Entgeltpunkt erbringt also derzeit einen Rentenanspruch von monatlich 28,61 Euro. Da von der Bruttorente Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen sind (zusammen 10,8 Prozent), beläuft sich der Nettowert des AR nur auf 25,52 Euro. Für eine Nettorente in Höhe von 706 Euro sind insgesamt 27,6660 EP nötig. Bei 45 Beitragsjahren erfordert dies über das gesamte Erwerbsleben unterm Strich eine Entgeltposition von gut 61 Prozent des Durchschnitts (27,6660 geteilt durch 45). Nach den vorläufigen Werten für 2015 sind dies monatlich 1.793 Euro, so dass bei einer 37,7-Stunden-Woche ein Stundenlohn von 10,98 Euro für eine existenzsichernde Altersrente notwendig wäre. – Soweit der Sachverhalt aus heutiger Sicht.

Mindestlohn für Arbeit und Rente

Nun werden allerdings nach den mittleren Annahmen des jüngsten Rentenberichts der Bundesregierung zur Entwicklung von Löhnen und Beschäftigung bis zum Jahr 2028 (a) das Durchschnittsentgelt um 51 Prozent und (b) der AR um nur 39 Prozent steigen [4]. Gemessen an den Löhnen verlieren die erworbenen EP damit deutlich an Wert (sinkendes Rentenniveau). Entwickelt sich gleichzeitig das Existenzminimum – wie bisher – parallel zu den Arbeitsentgelten, so bleibt dies nicht ohne Konsequenzen für die erforderliche Höhe des Mindestlohns. Zur Wahrung einer existenzsichernden Rente müsste er c. p. bis zum Jahr 2028 um gut 62 Prozent auf 17,84 Euro steigen. Und: Der nach heutigen Werten fürs Alter als existenzsichernd ermittelte Mindestlohn von 10,98 Euro erweist sich im Nachhinein – also aus Sicht des Jahres 2028 – als zu niedrig. Denn als Minimum ist dann bereits im Schnitt der 45 Beitragsjahre eine Entgeltposition von 67 (statt 61) Prozent des Durchschnitts nötig. Rückblickend wäre im Jahr 2015 demnach ein Mindestlohn von 11,94 Euro erforderlich gewesen. Der Grund für den Wertverlust des aus heutiger Sicht mit 10,98 Euro noch ausreichend hohen Mindestlohns liegt in dem künftig deutlich niedrigeren Rentenniveau.

Selbst ein heute ausreichender Mindestlohn bildet somit nur eine notwendige, aber längst keine hinreichende Bedingung für eine auch in Zukunft existenzsichernde Rente. Erforderlich sind vielmehr ein Stopp der weiteren Absenkung des Leistungsniveaus sowie die Rückkehr zu einer lebensstandardsichernd ausgerichteten Rente. Denn ohne Abkehr von dem unter Rot-Grün eingeleiteten Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik bleiben alle Instrumente sowohl auf der Ebene der Primärverteilung, wie etwa ein Mindestlohn, als auch auf der Sekundärverteilungsebene (beispielsweise die nachträgliche Hochwertung niedriger Pflichtbeitragszeiten) im Kampf gegen Altersarmut weitgehend stumpf.

[1] WSI-Tarifarchiv, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik, Düsseldorf 2014, Tabelle 3.4.
[2] Sächliches Existenzminimum 2015 lt. 10. Existenzminimumbericht, BTDrs 18/3893 v. 30.01.2015, S. 8.
[3] Nach den jüngsten Daten der BA lagen die durchschnittlichen KdU für Single-Bedarfsgemeinschaften im September 2014 bei 305 Euro. Vgl. Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Januar 2015, S. 58. Die Sozialhilfestatistik weist für Dezember 2013 bei 65-jährigen und älteren Grundsicherungsempfängern außerhalb von Einrichtungen durchschnittliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 331 Euro aus.
[4] Rentenversicherungsbericht 2014, BTDrs 18/3260 vom 20.11.2014, S. 38.

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