Kosten der Alterssicherung
Alterssicherung zum »Schnäppchenpreis«?
Billiger geht nur mit weniger Leistung – oder mit Schummeln
Johannes Steffen | Oktober 2016
Im Vorfeld der zweiten Sitzung des »Dialogs Alterssicherung« mit Vertretern der Tarifparteien lancierte das Bundesarbeitsministerium (BMAS) Ende September Modellrechnungen zur Zukunft der Rente, die erstmals über den üblichen Prognosezeitraum von 15 Jahren hinausreichen. »Die vorläufigen Berechnungen zeigen« – so das BMAS – »dass bei einer Beibehaltung der aktuellen Rechtslage mit einem deutlichen Absinken des Sicherungsniveaus bis 2045 auf ca. 41,6 Prozent zu rechnen ist.« Dennoch werde der Beitragssatz weiter von heute 18,7 Prozent auf dann 23,4 Prozent steigen.
Eine Stabilisierung des sogenannten Sicherungsniveaus vor Steuern auf derzeitigem Stand von etwa 47,5 Prozent erfordere im Jahr 2045 sogar einen Beitragssatz von 26,4 Prozent oder noch einmal rund 40 Milliarden Euro mehr. – Ein Ordnungsruf von Arbeitsministerin Nahles (SPD), der sich gleichermaßen an Wirtschaft und Arbeitgeber wie an Gewerkschaften und Stimmen aus der eigenen Partei richtet. Wollen doch die einen den Beitragssatz auch über 2030 hinaus möglichst bei 22 Prozent festschreiben – mit der Folge eines noch stärkeren Absinkens der Renten gegenüber den Löhnen – während die anderen eine Erhöhung oder doch zumindest eine Stabilisierung des Niveaus fordern, was nicht ohne entsprechend höhere Beiträge gehen wird.
Und so skizzierte die Ministerin im Anschluss an das Dialog-Treffen Anfang Oktober ihre Position in der Frage so: »Statt eines stetig weiter sinkenden Rentenniveaus muss es eine verlässliche Haltelinie geben. Gleichzeitig dürfen die Beiträge nicht in den Himmel schießen.« – Wenn das kein Kompromissvorschlag ist!
Der Disput um ein lebensstandardsicherndes Leistungsniveau der Alterssicherung und dessen (gesamtwirtschaftliche) Kosten trägt seit Jahren bizarre bis surreale Züge; man könnte meinen, auf und vor der Bühne tummeln sich ausschließlich ökonomische Analphabeten. Bei einem steigenden Anteil Älterer an der Gesamtbevölkerung ist eine auskömmliche Alterssicherung nicht ohne steigende gesamtwirtschaftliche Kosten – sozusagen zum »Schnäppchenpreis« – zu haben. Billiger geht nur mit weniger Leistung – oder mit Schummeln, was meist dasselbe ist.
Um den Anstieg des Beitragssatzes bei der umlagefinanzierten Rente zu bremsen, beschloss die rot-grüne Bundesregierung Anfang des Jahrhunderts: Das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente wird langfristig drastisch gesenkt und zur Schließung der damit aufgerissenen Sicherungslücke wird die vom Kapitalmarkt abhänige Altersvorsorge mit Steuermitteln gepusht (Riester-Rente und betriebliche Altersversorgung). Aber warum sollte dieser Weg insgesamt kostengünstiger sein als höhere Beitragssätze für ein stabiles Leistungsniveau der Sozialrente?
Dafür spräche zunächst nur ein einziger Sachverhalt: Ersetzt man nämlich einen Teil des bislang umlagefinanzierten Systems durch Kapitaldeckung, so wird zum Umstellungszeitpunkt rund ein Drittel der Bevölkerung dauerhaft abgehängt: Rentenbestand und rentennahe Jahrgänge bleiben auf einem sinkenden Rentenniveau sitzen, ohne dass sie selbst noch wirklich auf das neue System umsteigen können. Kostenersparnis durch Leistungskürzung, so das erste Fazit.
Aber wenigstens die Jungen profitieren vom Systemwechsel – so jedenfalls das herrschende Mantra. Unsinn. Zwar steigt ihre Belastung durch Rentenbeiträge künftig weniger stark; dafür aber müssen sie unmittelbar ab dem Umstellungszeitpunkt ein Vielfaches des ersparten Beitragsanstiegs nunmehr am Kapitalmarkt anlegen – in der Hoffnung auf ergiebige Renditen.
Sofern sich alle Jüngeren in dem modellhaft für erforderlich gehaltenen Umfang engagieren (vier Prozent des Bruttolohns fürs »Riestern«), fallen die gesamtwirtschaftlichen Kosten für die Aufrechterhaltung des Sicherungsniveaus (Beitragssatz plus Sparrate) deshalb auf unabsehbare Zeit deutlich höher aus als im ausschließlich umlagefinanzierten System (gestrichelte Linie). Obwohl ein Drittel der Bevölkerung – ein Anteil, der im Laufe der Jahrzehnte natürlich gegen Null sinkt – abgehängt wird, fällt die gesamtwirtschaftliche Belastung auf einen Schlag singnifikant höher aus, so das zweite Fazit.
Und auch ein weiterer Punkt wird gerne unter den Teppich gekehrt: Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten sind von der Niveausenkung genauso betroffen wie die Altersrenten. Zudem kennt der Kapitalmarkt keinerlei solidarischen Ausgleich innerhalb des Kollektivs und eine Leistungs-Dynamisierung, vergleichbar den jährlichen Rentenanpassungen, gehört ebenfalls nicht zum Standard. Sollen die aufgerissenen Lücken aber auch für diese sozialen Risiken und Sachverhalte vollständig über die Kapitalmarkt-Rente abgedeckt werden, so muss die Sparrate mehr als doppelt so hoch wie im Riester-Modell (Grafik) ausfallen. Alles andere ist politische Schummelei, so das dritte Fazit.
Warum ein Beitragssatz von 26,4 Prozent im Jahr 2045 nicht tragbar sein soll – wohl aber die für eine vergleichbare Sicherung erforderliche Gesamtbelastung von weit über 30 Prozent bereits im Hier und Jetzt – ist ökonomisch nicht begründbar. Da müssen dann Narrative zur Ablenkung her, wonach beim kapitalgedeckten Verfahren vermeintlich jeder für sich selbst spart (Eigenvorsorge) und nicht, wie beim Umlageverfahren, für andere zur Kasse gebeten wird (»Fremdsparen«). Dass jede Form der Altersvorsorge – ob nun umlagefinanziert oder kapitalgedeckt – auf Ansprüchen an die Wertschöpfung künftiger Generationen beruht, soll aus den Köpfen verbannt werden. Aber in beiden Fällen müssen die im Jahr 2045 fälligen Renten von den dann Erwerbstätigen erwirtschaftet und an die Senioren abgetreten werden. Es gibt keine anderen Quellen. Nur die Arbeitgeber sind bei der Kapitalmarktrente fein raus; mit deren Kosten haben sie nichts zu tun und gleichzeitig sparen sie am »Vorsorge-Lohn« (Arbeitgeber-Anteil zur Sozialversicherung). Am Schluss landet man also wieder bei der »alten« Verteilungsfrage.