Unbezahlbares Rentenniveau
Ein stabiles Rentenniveau? - »Unbezahlbar!«
Kommissionsmitglied polemisiert gegen Umlagesystem
Johannes Steffen | Mai 2018
Am 3. Mai hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Mitglieder der Rentenkommission »Verlässlicher Generationenvertrag« vorgestellt. Die Kommission soll sich, so steht es im Koalitionsvertrag, »mit den Herausforderungen der nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung und der beiden weiteren Rentensäulen ab dem Jahr 2025 befassen (…). Sie soll eine Empfehlung für einen verlässlichen Generationenvertrag vorlegen. Dabei streben wir eine doppelte Haltelinie an, die Beiträge und Niveau langfristig absichert.« Die Kommission soll ihren Bericht bis März 2020 vorlegen. Zu ihren insgesamt zehn Mitgliedern gehört auch Axel Börsch-Supan, Direktor des Munich Center for Economis of Aging (MEA). Dieser hatte genau zehn Tage zuvor via Süddeutscher Zeitung die Rentenpläne der Koalition – allen voran die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent – als »unbezahlbar« deklariert [1]. Eine Niveaustabilisierung verursache alleine im Jahr 2060 zusätzliche Kosten von 180 Milliarden Euro – so das Ergebnis der Berechnungen des MEA.
Modellrechnungen zur künftigen finanziellen Entwicklung der Rentenversicherung sind seit Jahrzehnten gängige Praxis und sollen hier trotz ihrer hochgradigen Anfälligkeit nicht an sich kritisiert werden – es handelt sich um Modellrechnungen und explizit nicht um Prognosen. Der vom MEA in die Welt gesetzte Betrag dient aber augenscheinlich nicht der Bereicherung einer sachlichen Debatte, sondern der Verbreitung von Angst in der Öffentlichkeit. Auch handelt es sich bei Begrifflichkeiten wie Bezahlbarkeit oder Unbezahlbarkeit nicht um ökonomische, sondern um politische Kategorien, die viel aussagen über die Prioritätensetzung bei der Erschließung und Verwendung finanzieller Ressourcen – und damit über Verteilungsfragen. Bekanntlich gilt die Aufrechterhaltung eines lebensstandardsichernden Niveaus der gesetzlichen Rente im Rahmen des Umlageverfahrens der Sozialversicherung als unbezahlbar – wohingegen im gleichen Atemzug die Absicherung desselben Ziels über zusätzliche individuelle Vorsorge (sei es betrieblich oder privat) als bezahlbar propagiert und staatlich gefördert wird. Alleine ökonomisch ist dieser offensichtliche Widerspruch nicht erklärbar – verteilungspolitisch schon.
Laut Koalitionsvertrag für die 19. Wahlperiode werden CDU, CSU und SPD »die gesetzliche Rente auf heutigem Niveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2025 absichern und bei Bedarf durch Steuermittel sicherstellen, dass der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen wird«. – Diese doppelte Haltelinie verlängert das MEA auf Basis des letzten Rentenversicherungsberichts (Daten bis 2031) sowie eigener Simulationen über die nächsten vierzig Jahre und veranschlagt die Zusatzkosten am Ende auf 180 Milliarden Euro in 2060. Dieser Betrag ist kaufkraftbereinigt [2], die mit 1,5 Prozent jährlich angesetzte Inflation wurde also herausgerechnet. Ohne diese Bereinigung läge der Wert bei rund 335 Milliarden Euo – eine zunächst unvorstellbare Summe.
Mehr als die Hälfte der so bezifferten Zusatzkosten sind allerdings ein Eigengeschöpf des Modells. Das geht, wie erwähnt, von einem über den gesamten Zeitraum auf 20 Prozent gedeckelten Beitragssatz aus – eine virtuelle Größe. Legt man als Referenz das geltende Recht zugrunde, wonach der Beitragssatz – bei einem bis 2060 weiter auf rund 41 Prozent sinkenden Rentenniveau – laut MEA-Berechnungen auf 24 Prozent ansteigt, so schrumpfen die zusätzlich erforderlichen Mittel für die Stabilisierung des Rentenniveaus auf seinem heutigen Stand von rund 335 auf knapp 160 Milliarden Euro – immer noch eine enorme Summe.
Aber auch dieser Betrag relativiert sich bei Berücksichtigung der künftigen Entgeltentwicklung. Den Modellannahmen zufolge steigen die Nominallöhne und -gehälter jährlich um drei Prozent. 2018 beträgt das Durchschnittsentgelt der Rentenversicherung knapp 38.000 Euro – im Jahr 2060 werden es mehr als 130.000 Euro sein; eine Steigerung auf das 3,5-Fache des heutigen Betrages. Die gegenüber geltendem Recht im Jahr 2060 zusätzlich anfallenden Kosten könnten daher mit einem um 3,5 Prozentpunkte höheren Beitragssatz (27,5 Prozent) gedeckt werden. Denn während heute das finanzielle Aufkommen eines Beitragspunktes rund 14,6 Mrd. Euro beträgt, werden es 2060 – so das implizite Ergebnis der MEA-Daten – rund 45 Milliarden Euro sein. Und hiervon hätten – anders als bei privater Vorsorge sowie unter Ausblendung eines in Zukunft womöglich höheren Steueranteils – die Versicherten »nur« die Hälfte zu tragen.
Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft steigen die Kosten der Alterssicherung – Finanzierungsschnäppchen sind nirgendwo im Angebot. Dies gilt erst recht für den Fall, dass die Verteilungsposition der Renten gegenüber den Entgelten der Versicherten (Rentenniveau) nicht weiter zurückfallen soll. Dieser Sachverhalt ist so banal wie bekannt; erst im Herbst 2016 hatte das Arbeitsministerium Zahlen für den Zeitraum bis 2045 vorgelegt und auch die für unterschiedliche Rentenniveaus erforderlichen Beitragssätze ausgewiesen. [3] Die jetzt vom MEA in den Vordergrund gerückten Euro-Beträge bergen insofern auch keinen Erkenntnisgewinn – Zweck ist alleine deren Schockwirkung beim breiten Publikum. Die Kritiker einer leistungsfähigen umlagefinanzierten Rente formieren gerade ihre argumentative Schlachtordnung und präparieren schon mal die medialen Multiplikatoren für die anstehenden Auseinandersetzungen in der sowie rund um die Rentenkommission.
[1] Rentenpläne der Koalition sind »unbezahlbar«, SZ-online, 23.04.2018
[2] Vgl. A. Börsch-Supan und J. Rausch, Die Kosten der doppelten Haltelinie, mea discussion papers 03-2018, S. 8
[3] BMAS, Gesamtkonzept zur Alterssicherung, Berlin, November 2016