Durchschnittsentgelt und Arbeitszeit

Durchschnittsentgelt und Arbeitszeit

Teilzeiteffekt erhöht Rentenanwartschaft – nicht aber die Rente

Johannes Steffen | Dezember 2016

Der Durchschnittsverdiener erwirbt für ein Jahr Beitragszahlung bekanntlich eine Rentenanwartschaft in Höhe von einem Entgeltpunkt. Im Einzelfall wird die Höhe der Anwartschaft anhand der Relation des individuellen Entgelts zum jeweiligen Durchschnittsentgelt ermittelt. Liegt der beitragspflichtige Verdienst oberhalb oder unterhalb des Durchschnitts, dann fällt die Kontogutschrift entsprechend höher oder niedriger aus. So führen unter sonst gleichen Bedingungen beispielweise die Ausweitung der Arbeitszeit oder ein höherer Verdienst pro Zeiteinheit zu einer höheren Rente – und umgekehrt. Dem Durchschnittsentgelt kommt demnach eine zentrale Rolle zu, wenn es um die Rente geht.

Nun ist allerdings Durchschnitt noch längst nicht immer gleich Durchschnitt. So betrug der entsprechende Wert nach Anlage 1 zum SGB VI Anlage 1 zum SGB VI [1] – und nur dieser ist für die Rentenberechnung relevant – im Jahr 2015 35.363 Euro. Demgegenüber weisen die Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) für die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer nur einen Betrag von 33.421 Euro aus. Bei VGR-Durchschnittsverdienst wären für 2015 demnach nur 0,9451 Entgeltpunkte anzusetzen. Und für in Vollzeit Beschäftigte betrug das Durchschnittsentgelt [2] 44.712 Euro – das wären 1,2644 Entgeltpunkte in 2015. Diese doch erheblichen Differenzen bleiben nicht ohne Folgen.

Anlässlich der Rentenreform von 1957 wurden rückwirkend ab 1891 und bis 1955 die jeweiligen Durchschnittsverdienste aus den verfügbaren statistischen Quellen ermittelt. Bei den Berechnungen stellte der Gesetzgeber seinerzeit auf die Bruttoentgelte der Arbeiter und Angestellten ohne Lehrlinge und Anlernlinge und auf Basis einer Vollzeittätigkeit ab. Seither werden die Werte jährlich mit der Änderungsrate der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer fortgeschrieben, wie sie sich aus den VGR ergeben. Diese Daten aber werden von Strukturveränderungen der Arbeitnehmerschaft ebenso geprägt wie von arbeitszeitbedingten Differenzen der Entgelthöhen. Zu den Arbeitnehmern zählen neben Arbeitern und Angestellten auch Beamte; die aber gehören nicht zum Versichertenkreis. Erfasst werden zudem Verdienste, die nicht beitragspflichtig sind – so etwa Entgeltteile, die über der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) liegen oder die beitragsfrei in eine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung umgewandelt werden.

Auf lange Sicht von sehr viel größerer Bedeutung sind jedoch Änderungen der Arbeitszeitstrukturen in Gestalt eines steigenden Teilzeitanteils. Von 1970 bis 2015 ist die Teilzeitquote von 9,3 Prozent (alte Länder) auf 38,8 Prozent (Deutschland) gestiegen. Da die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer im Rahmen der VGR nach dem Personenkonzept ermittelt werden, gehen Teilzeitkräfte mit dem gleichen Gewicht in die Ermittlung des Durchschnitts ein wie Vollzeitbeschäftigte. Dies »dämpft« die Wachstumsrate der Bruttoentgelte nach Anlage 1 zum SGB VI.

Durchschnittsentgelte und Arbeitszeit

Erläuterungen

Durchschnittsentgelt Vollzeitbeschäftigter: Durchschnittliche Bruttoverdienste vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich ohne Sonderzahlungen. In den alten Ländern bis 2006 einschließlich Berlin-West (Gebietsstand bis zum 03.10.1990), ab 2007 einschl. Berlin - in den neuen Ländern bis 2006 einschl. Berlin-Ost (Gebietsstand bis zum 03.10.1990), ab 2007 ohne Berlin.

Durchschnittsentgelt SGB VI: Durchschnittsentgelt (West) nach Anlage 1 zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die Ost-Werte ergeben sich nach Division des Durchschnittsentgelts (West) durch den Umrechnungswert nach Anlage 10 zum SGB VI.

Durchschnittsentgelt VGR: Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (Inlandskonzept) jeweils ohne marginal Beschäftigte nach den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR). Alte Länder bis 1990 einschließlich Berlin-West, ab 1991 einschließlich Berlin. Neue Länder ohne Berlin.

Vollzeitbeschäftigte: Bis 1990 alte Länder einschließlich Berlin-West, ab 1991 Deutschland nach den Arbeitszeitrechnungen des IAB der BA.

Teilzeitbeschäftigte: Bis 1990 alte Länder einschließlich Berlin-West, ab 1991 Deutschland nach den Arbeitszeitrechnungen des IAB der BA.

Download PNG Grafik als PNG-File

Bis zum Beginn der 1980er Jahre stiegen die drei referenzierten Durchschnittsentgelte nahezu im Gleichschritt. Danach – und verstärkt seit den 1990er Jahren – weichen die Wachstumspfade immer stärker voneinander ab: Bedingt durch den Teilzeiteffekt (sowie die Ausbreitung des Niedriglohnsegments) bleibt das Durchschnittsentgelt nach Anlage 1 deutlich hinter dem Bruttoentgelt der Vollzeitbeschäftigten zurück.

Für die Versicherten bedeutet ein gedämpfter Anstieg des SGB-VI-Durchschnittsentgelts c.p. eine Verbesserung ihrer relativen Entgeltposition und damit ein Plus an Entgeltpunkten pro Zeiteinheit. Demgegenüber hätte die Fortschreibung des Entgelts nach Anlage 1 auf Basis ausschließlich der Vollzeitentgelte – verglichen mit dem praktizierten Verfahren – dazu geführt, dass die Anwartschaften aufgrund der dann schlechteren relativen individuellen Entgeltpositionen geringer ausgefallen wären.

Wurde die Höhe der Renten über die vergangenen Jahrzehnte demnach durch den Teilzeiteffekt positiv beeinflusst? Wohl kaum. Denn der vordergründige Vorteil eines schwächeren Wachstums der Durchschnittsentgelte des SGB VI in Gestalt höherer Anwartschaften (gemessen in Entgeltpunkten) wird implizit wieder korrigiert. Der Grund: Auch bei der Dynamisierung des AR greift der Teilzeiteffekt Platz und die Bewertung der Anwartschaften entwickelte sich im Zeitablauf folglich entsprechend flacher [3]. – Bei Fortschreibung auf Basis der Vollzeitentgelte wäre die Summe der Entgeltpunkte im Einzelfall geringer, dafür aber deren Bewertung höher ausgefallen. So erhöht der Teilzeiteffekt zwar die Rentenanwartschaften – nicht aber auch die Renten, da deren Anpassung gleichzeitig gedämpft wird.

Hat der vom Teilzeiteffekt geprägte Fortschreibungsmodus somit am Ende keinerlei Auswirkung auf die Entwicklung der Renten? Das nun auch wieder nicht. Die dargestellten Zusammenhänge gelten nur für den jeweiligen »Augenblick« – es handelt sich sozusagen um eine Querschnittsbetrachtung. Im Längsschnitt, also über die Zeit, führt eine kontinuierlich steigende Teilzeitquote beim geltenden Fortschreibungsverfahren fortgesetzt zu einer »schleichenden« Unterbewertung der berenteten sowie der in zurückliegenden Zeiten erworbenen Anwartschaften aller noch Aktiven – verglichen mit dem Referenz-Szenario einer an der Zuwachsrate der Vollzeitentgelte ausgerichteten Fortschreibung.

[1] Beim Durchschnittsentgelt nach Anlage 1 handelt es sich um einen West-Wert.
[2] Ohne Sonderzahlungen.
[3] Die Abkoppelung der Renten von den Löhnen (Niveausenkung) bleibt bei dieser grundsätzlichen Betrachtung außen vor.