Wenn Hetze auf Unwissenheit trifft
Bürgergeld: Wenn Hetze auf Unwissenheit trifft
12.12.2023 | Seit gestern kursiert ein weiteres Beispiel rechter Hetze gegen das Bürgergeld im Netz. Gelistet werden Bedarfspositionen und »Vergünstigungen« für einen fiktiven sechsköpfigen Haushalt in Köln. Der Bürgergeld-Bedarf setzt sich demnach zusammen aus
- der Regelbedarfssumme (2024) in Höhe von 2.734 Euro und einem
- Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 1.569 Euro.
Die unterstellten 1.409 Euro für die Bruttokaltmiete entsprechen der aktuellen Obergrenze für einen Sechs-Personen-Haushalt in Köln – sie liegen allerdings oberhalb der Mietobergrenze (Mietstufe VI) laut Wohngeldverordnung (1.280 €)
.
Der SGB-II-Gesamtbedarf beläuft sich demnach auf 4.303 Euro.
Addiert werden zudem die – falsch berechneten – Beiträge des JobCenters zur Kranken- und Pflegeversicherung, Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket sowie die GEZ-Gebührenbefreiung. Unterm Strich, so der erweckte Eindruck, stehen dem Haushalt knapp 5.000 Euro an Bürgergeld zu. Dass das Kindergeld von 1.000 Euro (4 x 250 Euro) mindernd auf das Bürgergeld angerechnet wird, bleibt unerwähnt.
Die Reaktionen im Netz erfüllen überwiegend die Erwartungen – und reproduzieren die Absicht; Hetze setzt immer auf Unwissenheit des Publikums. Gängige Brutto-Nettorechner können meist noch korrekt bedient werden – das Verständnis für Hintergründe und Zusammenhänge im System sozialer Sicherung aber fehlt allzu oft. @RealFantomas etwa schlussfolgert aus dem bezifferten Gesamtbetrag einen erforderlichen Bruttolohn bei Erwerbstätigkeit von 7.336 Euro.
Ein zum Mindestlohn vollzeitbeschäftigter Alleinverdiener (38 Std./W) kommt 2024 auf rund 2.050 Euro Bruttolohn. Steuern fallen in Steuerklasse III keine an, sodass nach Abzug – und nicht etwa Hinzurechnung – der Sozialbeiträge ein Nettolohn von 1.636 Euro verbleibt. Hinzu kommen aber noch Kindergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag. Unterm Strich verfügt der vollzeitbeschäftigte Alleinverdiener-Haushalt über ein Einkommen von zusammen 4.909 Euro. Das sind 606 Euro mehr als der SGB-II-Bedarf des Vergleichshaushalts. – Der Vollständigkeit halber sei noch darauf verwiesen, dass dem Nicht-Erwerbstätigen-Haushalt ein monatlicher Sofortzuschlag von 20 Euro pro Kind zusteht, der in der »Rechnung« wohl übersehen wurde.
Die aufgeführten Beträge für Schulbedarf, Schul-Mittagessen sowie Ausflüge und Vereinskosten (Bildungs- und Teilhabepaket) stehen auch Haushalten mit Bezug von Kinderzuschlag zu. - Übrig bliebe vielleicht die GEZ-Befreiung, um auf dem Weg zur Arbeit so richtig »wütend« zu werden.
| SGB-II-Bedarf | Vollzeit zum gesetzlichen Mindestlohn | ||
| Regelbedarf Mutter | 506 € | Bruttolohn (38 Std/W zu 12,41 Euro/Std) |
2.050 € |
| Regelbedarf Vater | 506 € | ./. SV-Beiträge | 414 € |
| Kind 1 (16 J) | 471 € | = Nettolohn | 1.636 € |
| Kind 2 (14 J) | 471 € | + Kindergeld | 1.000 € |
| Kind 3 (12 J) | 390 € | + Wohngeld | 1.273 € |
| Kind 4 (10 J) | 390 € | + Kinderzuschlag | 1.000 € |
| Bruttokaltmiete | 1.409 € | = verfügbares Einkommen | 4.909 € |
| Heizung | 160 € | ||
| Gesamt-Bedarf | 4.303 € | Plus ggü. SGB-II-Bedarf | 606 € |

