Raus aus Hartz IV

Raus aus Hartz IV

Wie hoch muss der Bruttolohn sein?

Juni 2024 | Im vergangenen Dezember stieß Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Ex-Grüner) auf der Suche nach dem SGB-II-Bedarf seiner vierköpfigen Familie auf den Hart-IV-Rechner der Caritas. Der warf ihm einen Betrag von 3.368 Euro aus. Sein Fazit gegenüber BILD: »Wenn ich Alleinverdiener wäre, müsste ich schon um die 4500 brutto heim bringen, um dasselbe zu erreichen« – was seiner Rechnung nach einem Stundenlohn von fast 25 Euro entspräche.  Kurz zuvor hatte bereits sein Landrat, Joachim Walter (CDU), im SWR 1 eine ähnliche Rechnung aufgemacht.  Erst vor wenigen Tagen zitierte Welt-online Holger Schäfer, Arbeitsmarktökonom vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, mit den Worten: »Schon bei einer vierköpfigen Familie kann es sein, dass die Stundenlöhne bei 20 Euro oder höher liegen müssen«, um aus der Bürgergeldberechtigung herauszukommen.

Dies sind nur einige wenige Bespiele dafür, wie in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, für die Überwindung der Leistungsberechtigung nach SGB II seien regelmäßig recht hohe Bruttolöhne erforderlich. Entsprechende Einzelfälle werden sich finden, vor allem aber konstruieren lassen. Mit der Wirklichkeit des SGB-II-Bezugs haben sie in aller Regel wenig bis nichts zu tun. So kann eine vierköpfige Alleinverdiener-Familie mit zwei minderjährigen Kindern im Alter ab 14 Jahren im Kreis Tübingen – auf Basis der BA-Daten zu den anerkannten durchschnittlichen regionalen Kosten der Unterkunft – die SGB-II-Leistungsberechtigung bereits ab einem monatlichen Bruttolohn von 1.840 Euro verlassen; sind die beiden Kinder noch keine sechs Jahre alt, so reichen 1.330 Euro Bruttolohn. Bei einer Beschäftigung zum gesetzlichen Mindestlohn (12,41 Euro) wird dieser Bruttolohn mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 34 bzw. 25 Stunden erreicht. Die Daten beziehen sich auf den Januar 2024 – berücksichtigen also bereits die deutliche Anhebung der Regelbedarfe zu Jahresbeginn.

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Bruttolohnschwellen (Stand: Januar 2024)

Alleinstehende

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Alleinerziehende mit einem Kind im Alter von14 Jahren

 
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Alleinerziehende mit zwei Kindern im Alter von 14 Jahren

 
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Kinderlose Paare

 
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Paare mit einem Kind im Alter von 5 Jahren

 
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Paare mit zwei Kindern im Alter von 5 Jahren

 
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Paare mit zwei Kindern im Alter von 14 Jahren

 
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Methodisches

Der Bedarf einer SGB-II-BG setzt sich zusammen aus

  • der Summe der von der maßgeblichen Regelbedarfsstufe abhängigen Regelbedarfe (RB) der Mitglieder der BG,
  • dem von Anzahl und/oder Alter der Kinder abhängigen Mehrbedarf (MB) bei Alleinerziehenden sowie
  • den Kosten der Unterkunft, die hier nach Bruttokaltmiete (BKM) und Heizkosten (Hzg) aufgeschlüsselt sind; die Daten basieren auf den Angaben der BA zur »Wohn- und Kostensituation SGB II« im Januar 2024 (Unterkunftsart Miete) für die 400 Kreise und kreisfreien Städte . Die Höhe der BKM ist für die Ermittlung des (rechnerischen) Wohngeldanspruchs maßgeblich.

Auf Basis des Gesamtbedarfs der BG wir die auf zehn Euro aufgerundete Bruttolohnschwelle ermittelt; diese Schwelle markiert die Höhe des monatlichen Bruttolohns (Alleinverdienende), ab der ein SGB-II-Leistungsanspruch gerade nicht mehr besteht. Hierzu wird der anrechenbare Nettolohn ermittelt und um die im Einzelfall zustehenden (vorrangigen) Sozialtransfers – Kindergeld (Kig), Unterhaltsvorschuss (Uhv), Kinderzuschlag (Kiz) und Wohngeld (Wog) – erhöht. Der von der Höhe des Bruttolohns abhängige Freibetrag wegen Erwerbstätigkeit gem. § 11b Abs. 2 und Abs. 3 SGB II zählt nicht zum anrechenbaren Nettolohn. In der Summe ergibt sich das nach der Systematik des SGB II anrechenbare Einkommen der BG. Am Ende muss dieses mindestens die Höhe des Gesamtbedarfs erreichen, damit eine SGB-II-Leistungsberechtigung ausgeschlossen ist.

Neben dem anrechenbaren Einkommen wird schließlich noch das verfügbare Einkommen der BG ausgewiesen. Dieses entspricht der Summe aus anrechenbarem Einkommen und Freibetrag wegen Erwerbstätigkeit. Damit liegt das verfügbare Einkommen stets mindestens um die Höhe des Freibetrags oberhalb des Gesamtbedarfs.

Rundungsbedingt kann es bei den im Einzelfall ausgewiesenen Summen zu leichten Abweichungen kommen.

Vergleichbare Befunde gelten für die weiteren hier untersuchten Bedarfsgemeinschaften (BG) in den 400 Landkreisen und kreisfreien Städten.

Bei Single-Bedarfsgemeinschaften (Regelbedarfsstufe 1) kann die Leistungsberechtigung nach SGB II weit überwiegend ab einem Bruttolohn von 1.360 Euro (einsetzende Besteuerung I/0) – also mit einer Beschäftigung zu rd. 25-Wochenstunden zum gesetzlichen Mindestlohn – überwunden werden. Mit einsetzender Besteuerung steigt c. p. der Wohngeldanspruch infolge eines zusätzlichen pauschalen Abzugs in Höhe von zehn Prozent vom wohngeldrelevanten Einkommen, so dass das nach SGB II anrechenbare Einkommen im Ergebnis über den individuellen SGB-II-Bedarf hinaus ansteigt – teilweise »springt«. Höhere Bruttolohnschwellen gelten beispielsweise für den Großraum München, das Rhein-Main-Gebiet oder auch in den Städten Köln oder Münster.

Alleinerziehenden-BGs (Regelbedarfsstufe 1 plus Mehrbedarf) mit einem minderjährigen Kind im Alter ab 14 Jahren (Regelbedarfsstufe 4) benötigen in aller Regel einen (deutlich) geringeren Bruttolohn als Alleinstehende, um die SGB-II-Leistungsberechtigung zu überwinden bzw. zu vermeiden. Zwar liegt deren SGB-II-Bedarf merklich oberhalb des Bedarfs von Single-BGs – andererseits besteht für diesen BG-Typ neben dem Wohngeld noch Anspruch auf weitere Sozialtransfers (Kindergeld, Unterhaltsvorschuss und Kinderzuschlag), deren Bezug die maßgebende Bruttolohnschwelle entsprechend senkt. Im Bundesdurchschnitt liegt die Schwelle für diesen BG-Typ bei 1.030 Euro. – Alleinerziehenden-BGs mit zwei minderjährigen Kindern im Alter ab 14 Jahren können die SGB-II-Schwelle in nahezu der Hälfte aller Kreis bzw. kreisfreien Städte mit Erreichen der Mindesteinkommensgrenze für den Kinderzuschlag in Höhe von 600 Euro (brutto) überwinden; in den neuen Ländern liegt die Schwelle lediglich in vier brandenburgischen Kreisen (Berliner Umland) sowie in Dresden oberhalb dieses Wertes. Ein Monats-Brutto von 600 Euro lässt sich mit einer Beschäftigung von rd. elf Wochenstunden zum gesetzlichen Mindestlohn erzielen.

Alleinverdienende kinderlose Paare (je Regelbedarfsstufe 2) weisen die höchsten Bruttolohnschwellen unter den sieben hier betrachteten BG-Typen auf. In einem Viertel aller Kreise und kreisfreien Städte gelingt die Vermeidung einer SGB-II-Leistungsberechtigung erst mit einsetzender Besteuerung (III/0) ab einem monatlichen Bruttolohn von 2.540 Euro oder mehr und einem damit c. p. einhergehenden (teilweise sprunghaft) höheren Wohngeldanspruch. Dieser Bruttolohn erfordert bei einer Beschäftigung zum gesetzlichen Mindestlohn allerdings eine Wochenarbeitszeit von mindestens 47 Stunden. Die Spitzenposition nimmt der Kreis München ein; bei den zugrunde gelegten durchschnittlichen Werten für Bruttokaltmiete und Heizung betrug die Bruttolohnschwelle im Januar 2024 3.150 Euro – ein Wohngeldanspruch besteht in diesem Fall nicht mehr. Insgesamt liegt das Schwellen-Brutto in 35 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte so hoch, dass kein Wohngeldanspruch mehr besteht und die SGB-II-Leistungsberechtigung somit alleine mit dem anrechenbaren Nettolohn überwunden werden muss. Bei diesem BG-Typ stellt sich allerdings die Frage, ob das hier unterstellte Alleinverdiener-Modell ein adäquates Referenzszenario abbilden kann.

Für Paar-Haushalte mit einem nicht schulpflichtigen Kind (Regelbedarfsstufe 6) liegen die Bruttolohnschwellen – trotz deutlich höheren SGB-II-Bedarfs – im Bundesdurchschnitt nahezu 600 Euro niedriger als bei kinderlosen Paaren. Zusätzliche Sozialtransfers (Kindergeld und Kinderzuschlag) sowie deutliche höhere Wohngeldansprüche tragen wesentlich zu diesem Ergebnis bei. – Leben in der BG zwei nicht schulpflichtige Kinder, so sinkt die Bruttolohnschwelle im Vergleich zum kinderlosen Paar im Schnitt um noch einmal fast 700 Euro. In aller Regel kann die SGB-II-Leistungsberechtigung mit einer Beschäftigung zum gesetzlichen Mindestlohn im Umfang von 24 bis 30 Wochenstunden vermieden werden.

Bedarfsgemeinschaften von Paaren mit zwei minderjährigen Kindern im Alter ab 14 Jahren weisen mit im Bundesdurchschnitt rd. 2.800 Euro den höchsten SGB-II-Bedarf unter den hier ausgewählten BG-Typen auf. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist die Leistungsberechtigung nach SGB II mit einem Bruttolohn von rd. 1.730 Euro – oder einer Beschäftigung mit 32 Wochenstunden zum gesetzlichen Mindestlohn – überwindbar.

Die folgende Tabelle erleichtert die Einordnung der Bruttolohnschwellen durch entsprechende Umrechnung in die bei Entlohnung zum gesetzlichen Mindestlohn erforderliche Wochenarbeitszeit. Für höhere Bruttolohnschwellen kann zudem der erforderliche Stundenlohn bei einer 38-Stunden-Woche abgelesen werden.


Bruttolohn-Schwelle ≙ WAZ zum MiLo (12,41 €) in Std. Bruttolohn-Schwelle ≙ WAZ zum MiLo (12,41 €) in Std. ≙ Std.-Lohn bei WAZ von 38 Std.
Euro Std. Euro Std. Euro
600 11,2 1.900 35,3 -
650 12,1 1.950 36,3 -
700 13,0 2.000 37,2 -
750 13,9 2.050 38,1 12,45
800 14,9 2.100 39,1 12,75
850 15,8 2.150 40,0 13,06
900 16,7 2.200 40,9 13,36
950 17,7 2.250 41,8 13,66
1.000 18,6 2.300 42,8 13,97
1.050 19,5 2.350 43,7 14,27
1.100 20,5 2.400 44,6 14,58
1.150 21,4 2.450 45,6 14,88
1.200 22,3 2.500 46,5 15,18
1.250 23,2 2.550 47,4 15,49
1.300 24,2 2.600 48,3 15,79
1.350 25,1 2.650 49,3 16,09
1.400 26,0 2.700 50,2 16,40
1.450 27,0 2.750 51,1 16,70
1.500 27,9 2.800 52,1 17,00
1.550 28,8 2.850 53,0 17,31
1.600 29,8 2.900 53,9 17,61
1.650 30,7 2.950 54,9 17,92
1.700 31,6 3.000 55,8 18,22
1.750 32,5 3.050 56,7 18,52
1.800 33,5 3.100 57,6 18,83
1.850 34,4 3.150 58,6 19,13