Rentner - Gewinner der Corona-Pandemie

Verqueres zu Corona-Krise und Altersbezügen

Rentnerinnen und Rentner – Gewinner der Pandemie?

Johannes Steffen | Mai 2021

Im Windschatten der Pandemie macht sich verqueres Denken mittlerweile auch in der Rentendebatte breit. So werden die Rentner kurzerhand zu den ökonomischen Gewinnern der Corona-Pandemie erklärt. Dieser Gewinn summiere sich bis zum Jahr 2050 (!) auf angeblich fast 100 Milliarden Euro; entsprechend hoch falle die zusätzliche finanzielle Belastung der »Aktiven« aus, die das »Corona-Plus« bei den Renten am Ende stemmen müssten. Um das zu verhindern sei die befristete Deaktivierung des so genannten Nachholfaktors wieder aufzuheben. Was technisch verklausuliert daherkommt zielt am Ende auf die Rücknahme der 2018 vom Gesetzgeber verabschiedeten und zeitlich befristeten Niveaugarantie für die Rente.

Die Erzählung von den Rentnern als den wirtschaftlichen Gewinnern der Corona-Krise basiert auf folgenden Argumenten:

  1. Die Renten folgen den Löhnen. Wenn diese ausnahmsweise einmal sinken, so sei es – wie nach geltendem Recht ( Schutzklausel § 68a SGB VI) – durchaus richtig, die Renten zunächst zu verschonen. Bei wieder anziehenden Löhnen müsse der aktuelle Rentenwert (AR) im Gegenzug aber langsamer steigen, um den nicht realisierten Kürzungsbedarf im Nachgang rechnerisch auszugleichen (so genannter Nachholfaktor).
  2. Im Jahr 2018 habe der Gesetzgeber mit der 48-Prozent-Garantie für das Rentenniveau (Sicherungsniveau vor Steuern – SvS) den Nachholfaktor klammheimlich bis zur Rentenanpassung 2026 ausgesetzt. Mit Ablauf der Garantie bestehe qua gesetzlicher Vorgabe kein nachzuholender Kürzungsbedarf.
  3. Die Aussetzung des Nachholfaktors wirke wie ein Sperrklinkeneffekt: Bei sinkenden Löhnen, wie 2020 infolge der Corona-Krise, blieben die Renten im Folgejahr (2021) konstant; steigen die Löhne wieder in Richtung Vorkrisenniveau (2021), so wirke dies wie eine Lohnerhöhung und die Renten stiegen im Folgejahr (2022) als wäre nichts geschehen. Im Ergebnis fielen die Renten somit dauerhaft höher aus. Folglich müsse der Nachholfaktor umgehend wieder reaktiviert werden.

In einer diesen Gedankengang aufgreifenden Berechnung für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kommt das Max-Planck-Institut zu dem Ergebnis, dass die Rentenzahlungen »künftig um drei bis vier Milliarden Euro jährlich höher ausfallen« [1] – und zwar dauerhaft. »Wegen des ausgesetzten Nachholfaktors summiert sich das bis 2050 zu fast 100 Milliarden Euro«, so Max-Planck-Professor Börsch-Supan. Auch die Süddeutsche Zeitung greift die Meldung auf und kommentiert: »So irre es klingt: Die Rezession steigert dauerhaft die Altersbezüge.« [2]

Eine solche Rechnung ist unsinnig und verschleiert das hinter der Forderung nach Reaktivierung des Nachholfaktors verborgene eigentliche politische Ziel: Die Rückabwicklung der befristeten Niveaugarantie von 48 Prozent. Doch der Reihe nach.

Lohnentwicklung. – Zur Bezifferung des 2021 hypothetisch aufgelaufenen Kürzungsbedarfs greift die Berechnung zurück auf den Lohnfaktor der Rentenanpassungsformel, der für 2020 einen Lohnrückgang um 2,34 Prozent nahelegt. Wie an anderer Stelle ausgeführt [3] beruht dieser Wert jedoch auf einem rein statistischen Effekt infolge der Revision der beitragspflichtigen Entgelte durch die Deutsche Rentenversicherung Bund. Für die Anpassung 2021 (Nullrunde) bleibt dies am Ende bedeutungslos, was vordergründig auch einen korrigierenden Eingriff des Gesetzgebers entbehrlich erscheinen ließ.

Wird der (verfälschende) Statistik-Effekt herausgerechnet, so sind die anpassungsrelevanten Löhne in 2020 tatsächlich nur um 0,26 Prozent gesunken – also gerade einmal um rund ein Zehntel des rechnerisch referenzierten Rückgangs. Entsprechend niedriger fällt der zu veranschlagende »Gewinn« bei den Renten bzw. der (hypothetische) Kürzungsbedarf aus.

Niveaugarantie und Nachholfaktor

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Niveaugarantie. – Mit reaktiviertem Nachholfaktor wäre die Niveaugarantie formal noch nicht vom Tisch. Die Rentenwertbestimmungsverordnung 2021 stellt für dieses Jahr ein SvS in Höhe von 49,4 Prozent fest – auch dieser Wert wird durch den erwähnten Statistikeffekt zu hoch ausgewiesen. Korrekt ermittelt ergeben sich lediglich 48,3 Prozent, was auch die (vordergründig zunächst folgenlose) Abstinenz des Gesetzgebers erklären mag. Bei einem so niedrigen Rentenniveau bliebe während der Garantiezeit nur wenig Raum für nachholende Anpassungsdämpfungen. Wegen der Haltelinie lägen die aktuellen Rentenwerte nach geltendem Recht einerseits und bei reaktiviertem Nachholfaktor andererseits am Ende gleichauf. Zusätzliche »Gewinne« oder »Belastungen« können deshalb nicht mehr anfallen. Einzig auf dem Weg dorthin lägen AR und Rentenniveau bei reaktiviertem Nachholfaktor kurzzeitig leicht niedriger als nach geltendem Recht. Von einer dauerhaften Besserstellung der Renten gegenüber den Löhnen kann also keine Rede sein. Die Aufsummierung eines »Corona-Gewinns« der Renten bis zum Jahr 2050 ist daher in höchstem Maße fachlich unseriös und politisch bewusst irreführend.

Fazit. – Die verquere Erzählung vom dauerhaften Pandemie-Gewinn der Rentnerinnen und Rentner und die daraus abgeleitete Forderung nach Reaktivierung des Nachholfaktors zielen denn auch (wohlweislich unausgesprochen) auf den Sturz der ungeliebten Niveaugarantie – und zwar im Nachhinein durch die Streichung des qua Gesetz zum Ablauf der Garantiezeit mit null bezifferten Kürzungsbedarfs. Dadurch fiele die Senkung des Rentenniveaus ab 2026 stärker aus und die Niveaugarantie könnte, soweit zwischenzeitlich wirksam, rückabgewickelt werden. Durch sein Nicht-Handeln hat der Gesetzgeber einen viel zu hohen Ausweis des Lohnrückgangs in 2020 und in dessen Folge ein zu hohes SvS für 2021 heraufbeschworen. So liefert er Futter für abstruse Berechnungen zum Pandemie-Gewinn der Renten.

[1] Patrick Bernau, Corona steigert die Rente, FAZ vom 07.05.2021 mehr
[2] Alexander Hagelüken, Rentner – Gewinner der Pandemie, SZ vom 11.05.2021
[3] Vgl. Johannes Steffen, Rentenanpassung 2021 mehr

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