Kurz kommentiert
Senkt die Rentenbesteuerung das Rentenniveau unter 48 Prozent?
27.02.2025 | Das Rentenniveau – genauer: dessen Veränderung im Zeitverlauf – ist eine wichtige Messgröße für die Entwicklung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung. Es gibt Auskunft über das (Verteilungs-) Verhältnis der sog. Standardrente zum Durchschnittsentgelt der Versicherten. Für 2024 wird sein amtlicher Wert mit 48,00 Prozent ausgewiesen . Hierbei handelt es sich um das Sicherungsniveau vor Steuern (SvS). Dies bedeutet: Die verfügbare Standardrente (verf StR) aus 45 Entgeltpunkten (EP) wird rechnerisch ins Verhältnis gesetzt zum verfügbaren Durchschnittsentgelt (verf DE) – jeweils nach Abzug der Sozialbeiträge aber ohne darauf entfallende Steuern. Die Höhe der Rentenbesteuerung hängt seit 2005 (Alterseinkünftegesetz mit Übergang zur nachgelagerten Besteuerung) ab vom Jahr des Rentenbeginns. Je zeitnäher der Rentenbeginn, umso gringer fällt der als Anteil der Jahresbruttorente berechnete Rentenfreibetrag aus. Weil damit die auf eine Standardrente fällige Steuer je nach Kalenderjahr des Rentenbeginns unterschiedlich hoch ausfällt ist seit 2005 ein allgemein gültiges Nettorentenniveau nicht mehr ermittelbar.
Seit der Rentenanpassung zum 1. Juli 2024 beträgt der aktuelle Rentenwert (AR) 39,32 Euro. Bei 45 EP ergibt dies eine monatliche Brutto-Standardrente von 1.769,40 Euro; dieser Betrag wird mit 12 multipliziert, so dass sich die für die Ermittlung des SvS maßgebliche jährliche Brutto-Standardrente auf 21.232,80 Euro beläuft. Nach Abzug des von den Rentenbeziehenden zu tragenden allgemeinen Beitrags zur Krankenversicherung (7,3%), des durchschnittlichen Zusatzbeitrags zur Krankenversicherung (0,85%) und des Beitrags zur Pflegeversicherung (3,4% – ohne Beitragszuschlag für Kinderlose) verbleibt eine verfügbare Standardrente in Höhe von 18.780,41 Euro.
Das verfügbare Durchschnittsentgelt für 2024 wird mit 39.124,09 Euro ausgewiesen – bei einer sog. Nettoquote von 79,55 Prozent; daraus ergibt sich für das Durchschnittsentgelt ein Bruttobetrag von 49.181,75 Euro.
Das Sicherungsniveau vor Steuern beträgt für das Jahr 2024 somit 48,00 Prozent.
Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht wurde jüngst mit folgender Aussage zitiert: »Aufgrund der Rentenbesteuerung ist das Rentenniveau real längst unter 48 Prozent, die ja auch schon viel zu wenig sind.« – Senkt die Rentenbesteuerung also das Rentenniveau unter 48 Prozent?
Da ein allgemein gültiges Nettorentenniveau nicht mehr ermittelbar ist, lässt sich die Behauptung nur beispielhaft überprüfen – in der Tabelle auf Basis einer zum 1. Januar 2024 erstmals bezogenen Standardrente.
Von der Brutto-Standardrente (21.232,80 €) verbleiben nach Abzug von Sozialbeiträgen (ohne Beitragszuschlag für Kinderlose zur Pflegeversicherung) und Steuern (Alleinstehend ohne weitere Einkünfte) 18.225,41 Euro – analog verbleibt vom Brutto-Durchschnittsentgelt (49.181,75 €) ein Nettobetrag in Höhe von 32.098,09 Euro. Das Sicherungsniveau nach Steuern (SnS) beträgt in diesem Beispiel also 56,78 Prozent.
Infolge der Rentenbesteuerung sinkt zwar das »Niveau der Rente« von 18.780,41 Euro (vor Steuern) um knapp drei Prozent auf 18.225,41 Euro (nach Steuern) – das ausgewiesene Rentenniveau dagegen steigt deutlich von 48,00 Prozent (vor Steuern) auf 56,82 Prozent (nach Steuern). Die zitierte Formulierung ist insofern höchst irreführend. Gemeint ist demgegenüber offenbar, dass das Rentenniveau auf Basis des Messverfahrens »SnS« infolge des Übergangs zur nachgelagerten Besteuerung seit 2005 für jedes Rentenzugangsjahr leicht stärker sinkt als im Rahmen des offiziell verwendeten Messverfahrens »SvS«. Ein Vergleich der Prozentwerte nach den unterschiedlichen Messverfahren ist unsinnig und ohne irgendeine Aussagekraft. Vor allem aber lässt sich das leicht stärkere Sinken des SnS nicht sinnvoll als ein »unter 48 Prozent« im Sinne des SvS-Messverfahrens interpretieren.
Bürgergeld: Wenn Hetze auf Unwissenheit trifft
12.12.2023 | Seit gestern kursiert ein weiteres Beispiel rechter Hetze gegen das Bürgergeld im Netz. Gelistet werden Bedarfspositionen und »Vergünstigungen« für einen fiktiven sechsköpfigen Haushalt in Köln. Der Bürgergeld-Bedarf setzt sich demnach zusammen aus
- der Regelbedarfssumme (2024) in Höhe von 2.734 Euro und einem
- Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 1.569 Euro.
Die unterstellten 1.409 Euro für die Bruttokaltmiete entsprechen der aktuellen Obergrenze für einen Sechs-Personen-Haushalt in Köln – sie liegen allerdings oberhalb der Mietobergrenze (Mietstufe VI) laut Wohngeldverordnung (1.280 €)
.
Der SGB-II-Gesamtbedarf beläuft sich demnach auf 4.303 Euro.
Addiert werden zudem die – falsch berechneten – Beiträge des JobCenters zur Kranken- und Pflegeversicherung, Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket sowie die GEZ-Gebührenbefreiung. Unterm Strich, so der erweckte Eindruck, stehen dem Haushalt knapp 5.000 Euro an Bürgergeld zu. Dass das Kindergeld von 1.000 Euro (4 x 250 Euro) mindernd auf das Bürgergeld angerechnet wird, bleibt unerwähnt.
Die Reaktionen im Netz erfüllen überwiegend die Erwartungen – und reproduzieren die Absicht; Hetze setzt immer auf Unwissenheit des Publikums. Gängige Brutto-Nettorechner können meist noch korrekt bedient werden – das Verständnis für Hintergründe und Zusammenhänge im System sozialer Sicherung aber fehlt allzu oft. @RealFantomas etwa schlussfolgert aus dem bezifferten Gesamtbetrag einen erforderlichen Bruttolohn bei Erwerbstätigkeit von 7.336 Euro.
Ein zum Mindestlohn vollzeitbeschäftigter Alleinverdiener (38 Std./W) kommt 2024 auf rund 2.050 Euro Bruttolohn. Steuern fallen in Steuerklasse III keine an, sodass nach Abzug – und nicht etwa Hinzurechnung – der Sozialbeiträge ein Nettolohn von 1.636 Euro verbleibt. Hinzu kommen aber noch Kindergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag. Unterm Strich verfügt der vollzeitbeschäftigte Alleinverdiener-Haushalt über ein Einkommen von zusammen 4.909 Euro. Das sind 606 Euro mehr als der SGB-II-Bedarf des Vergleichshaushalts. – Der Vollständigkeit halber sei noch darauf verwiesen, dass dem Nicht-Erwerbstätigen-Haushalt ein monatlicher Sofortzuschlag von 20 Euro pro Kind zusteht, der in der »Rechnung« wohl übersehen wurde.
Die aufgeführten Beträge für Schulbedarf, Schul-Mittagessen sowie Ausflüge und Vereinskosten (Bildungs- und Teilhabepaket) stehen auch Haushalten mit Bezug von Kinderzuschlag zu. - Übrig bliebe vielleicht die GEZ-Befreiung, um auf dem Weg zur Arbeit so richtig »wütend« zu werden.
SGB-II-Bedarf | Vollzeit zum gesetzlichen Mindestlohn | ||
Regelbedarf Mutter | 506 € | Bruttolohn (38 Std/W zu 12,41 Euro/Std) |
2.050 € |
Regelbedarf Vater | 506 € | ./. SV-Beiträge | 414 € |
Kind 1 (16 J) | 471 € | = Nettolohn | 1.636 € |
Kind 2 (14 J) | 471 € | + Kindergeld | 1.000 € |
Kind 3 (12 J) | 390 € | + Wohngeld | 1.273 € |
Kind 4 (10 J) | 390 € | + Kinderzuschlag | 1.000 € |
Bruttokaltmiete | 1.409 € | = verfügbares Einkommen | 4.909 € |
Heizung | 160 € | ||
Gesamt-Bedarf | 4.303 € | Plus ggü. SGB-II-Bedarf | 606 € |
Bürgergeld: Arbeit lohnt angeblich nicht - trotz knapp 3.500 Euro Netto
21.11.2023 | Die abstruse öffentliche Debatte ums Bürgergeld hält weiter an. In Baden-Württemberg lehnt eine ukrainische Familie mit zwei Kindern Job-Angebote eines Gebäudereinigers ab und bezieht lieber weiter Sozialleistungen (Bürgergeld). Begründung – so jedenfalls die im Tagesspiegel vom 21.11.2023 zitierte kaufmännische Leiterin des Gebäudereinigers: »Die Arbeit würde sich für sie nicht lohnen«. Und das bei einem Gesamt-Netto von knapp 3.500 Euro aus einer Vollzeit- sowie einer Teilzeitbeschäftigung.
Auch wenn aus der Fallschilderung keine weiteren Details hervorgehen, so lassen sich die Zusammenhänge doch näherungsweise aufdröseln. Sind die beiden Kinder minderjährig, aber mindestens 14 Jahre alt, so ergeben sich die folgenden Regelbedarfe:
Regelbedarf Vater | 451 € |
Regelbedarf Mutter | 451 € |
Regelbedarf erstes Kind | 420 € |
Regelbedarf zweites Kind | 420 € |
Regelbedarfssumme | 1.742 € |
In Baden-Württemberg betrugen die durchschnittlichen anerkannten laufenden Kosten für Kaltmiete und Heizung (KdU) bei einem Paar mit zwei Kindern im Juli 2023 914,17 Euro – davon entfielen 821,03 Euro auf die Bruttokaltmiete und 93,14 Euro auf die Heizkosten. Der Gesamtbedarf der Familie betrüge in einem solchen Fall 2.656,17 Euro. Hinzu kommen bei Bezug von Bürgergeld noch 40 Euro an Sofortzuschlag für die beiden Kinder.
Regelbedarfssumme | 1.742,00 € |
+ KdU-Bedarf | 914,17 € |
= Gesamtbedarf | 2.656,17 € |
./. Kindergeld (250 €/Kind) | ./. 500,00 € |
= Zahlbetrag Bürgergeld | 2.156,17 € |
+ Sofortzuschlag (20 €/Kind) | 40,00 € |
+ Kindergeld | 500,00 € |
= verfügbares Einkommen | 2.696,17 € |
Das Einkommen des Haushalts beläuft sich somit bei »Nicht-Arbeit« und Bürgergeldbezug auf insgesamt 2.696,17 Euro. Da das Kindergeld (2 * 250 €) den Bedarf mindert ergibt sich am Ende ein Zahlbetrag von 2.156,17 Euro an Bürgergeld plus 40 Euro an Sofortzuschlag.
Unter der Annahme einer Steuerklassenkombination III/V ergäbe sich die zitierte Nettoentgeltsumme von knapp 3.500 Euro bei Bruttoeinkommen der Eltern in Höhe von 3.270 Euro (III) sowie 1.400 Euro (V). Selbst für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass damit – zusammen mit Kindergeld sowie eventuell Wohngeld und Kinderzuschlag – die SGB-II-Leistungsberechtigung des Haushalts noch nicht überwunden wäre, hätte die Familie als Aufstocker-Haushalt ein Einkommensplus von 746 Euro gegenüber der Variante »Nicht-Arbeit« und Bürgergeldbezug. Der Grund hierfür sind die beiden Erwerbstätigen-Freibeträge von einmal 378 Euro und einmal 368 Euro ( § 11b Abs. 2 und Abs. 3 SGB II). In dieser Höhe würde das Erwerbseinkommen der Eltern nicht bedarfsmindernd auf den Bürgergeldanspruch angerechnet – der Betrag stünde dem Haushalt also zusätzlich zum Gesamtbedarf zur Verfügung. Die Familie könnte bei Annahme der geschilderten Jobangebote ihr disponibles Einkommen (= Regelbedarfssumme + Sofortzuschlag) im Bürgergeldbezug um 42 Prozent erhöhen.
Bei einem Nettoerwerbseinkommen von zusammen knapp 3.500 Euro sowie den angenommenen Bedarfskomponenten liegt das verfügbare Einkommen aber um deutlich mehr als 746 Euro oberhalb des verfügbaren Einkommens bei »Nicht-Arbeit« und Bürgergeldbezug. Die Rechnung im Detail:
Er (III) | Sie (V) | Zusammen | |
Bruttoentgelt | 3.270 € | 1.400 € | 4.670 € |
./. LSt | ./. 134 € | ./. 141 € | ./. 275 € |
./. SV-Beiträge | ./. 659 € | ./. 240 € | ./. 899 € |
= Nettoentgelt | 2.477 € | 1.020 € | 3.497 € |
+ Kindergeld | 500 € | ||
+ Wohngeld | 87 € | ||
+ Kinderzuschlag | 0 € | ||
= verfügbares Einkommen | 4.084 € | ||
verfügbares Einkommen bei »Nicht-Arbeit« | 2.696 € | ||
Einkommensabstand zu »Nicht-Arbeit« | + 1.388 € | ||
Abweichungen in den Summen sind rundungsbedingt |
Am Ende läge das disponible Einkommen (= verfügbares Einkommen ./. KdU) bei Annahme der geschilderten Jobangebote um 78 Prozent oder 1.388 Euro höher als in der Variante »Nicht-Arbeit« und Bürgergeldbezug.
Eine sorgfältigere Recherche – wenigstens eine Plausibilitätsprüfung – stünde Qualitätsmedien wie dem Tagesspiegel in der aufgeheizten Debatte ums Bürgergeld gut zu Gesicht. – Sollte es die zitierte ukrainische Familie tatsächlich geben, so dürfte die geschilderte Ablehnung der Jobangebote wohl kaum an mangelnder finanzieller Attraktivität gelegen haben.