Bruttobedarf in der Grundsicherung nach SGB XII

Gesetzliche Neuregelung senkt Durchschnittsbetrag

Johannes Steffen | August 2018

Anfang August hat das Statistische Bundesamt die Daten zur Grundsicherung nach SGB XII (Sozialhilfe) für den Monat März 2018 veröffentlicht DESTATIS. Gegenüber den Werten für Dezember 2017 ist der durchschnittliche Bruttobedarf der Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Kapitel 4 SGB XII) fast durchgängig gesunken. Besonders auffällig ist der Rückgang unter den Empfängerinnen und Empfängern von Grundsicherung im Alter außerhalb von Einrichtungen; sie stellen fast 90 Prozent der Beziehenden von Altersgrundsicherung. Bei ihnen sank der durchschnittliche Bruttobedarf gegenüber Dezember 2017 um 20 Euro auf 794 Euro monatlich. Gleichzeitig legte der durchschnittliche Nettobedarf um zehn Euro weiter zu.

Der Bruttobedarf der Grundsicherung im Alter setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Hierzu zählen vor allem

  • der Regelbedarf oder Regelsatz,
  • evtl. Mehrbedarfe bspw. wegen Gehbehinderung oder für Personen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen,
  • die Kosten für Unterkunft und Heizung sowie
  • Beiträge bzw. Prämien zur Kranken- und Pflegeversicherung. Diese Bedarfskomponente ist für hilfebedürftige »Selbstzahler« von Bedeutung (freiwillige Mitglieder der gesetzlichen oder Mitglieder der privaten Krankenversicherung); bei pflichtversicherten Rentnern werden die entsprechenden Beiträge direkt von der Bruttorente einbehalten.
Durchschnittlicher Bedarf in der Altersgrundsicherung

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Dem Bruttobedarf gegenübergestellt werden das bereinigte und somit anrechenbare Einkommen sowie das verwertbare Vermögen (von dem hier im Weiteren abgesehen wird). Die Differenz zwischen Bruttobedarf und anrechenbarem Einkommen ergibt den Nettobedarf, der in aller Regel mit dem Betrag der zu leistenden (aufstockenden) Grundsicherung übereinstimmt.

Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wurden bislang dem (Brutto-) Bedarf hinzugerechnet. – Mit Artikel 4 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch RBEG trat diesbezüglich zu Beginn des Jahres eine Änderung in Kraft. Seit 2018 sind Beiträge für eine Kranken- und Pflegeversicherung im Einzelfall nur noch insoweit dem Bedarf hinzuzurechnen, soweit sie das bereinigte (anrechenbare) Einkommen übersteigen.

Zur Veranschaulichung soll ein vereinfachtes Rechenbeispiel dienen (vgl. Tabelle). Für einen alleinstehenden 66-jährigen Gehbehinderten belaufen sich die einzelnen Komponenten des Bedarfs auf folgende Beträge:

  • 416 Euro Regelbedarf,
  • 70,72 Euro Mehrbedarf (17% des Regelbedarfs),
  • 356 Euro Unterkunft und Heizung sowie
  • 200 Euro Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Einschließlich der Beiträge bzw. Prämien zur Kranken- und Pflegeversicherung beträgt der Gesamtbedarf in allen vier aufgeführten Fällen 1.042,72 Euro (bisherige Berechnung). – Infolge der 2018 in Kraft getretenen Neuregelung werden die Beiträge seither nur insoweit dem Bruttobedarf zugerechnet, als sie das bereinigte Einkommen übersteigen. Sofern also (noch) anrechenbares Einkommen vorhanden ist, müssen die Beiträge oder Prämien vom Hilfebedürftigen zunächst aus diesem Einkommen aufgebracht werden; nur wenn das Einkommen nicht ausreicht wird der verbleibende Teil der Beiträge dem Bedarf hinzugerechnet. Damit gehen die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bei »Selbstzahlern« nur noch in den Fällen vollständig in den ermittelten Bruttobedarf ein, in denen keinerlei anrechenbares Einkommen vorhanden ist (Fall A).

Monatlicher Bruttobedarf in Abhängigkeit von der Höhe des anrechenbaren Einkommens (Angaben in Euro)
Fall A Fall B Fall C Fall D
Anrechenbares (bereinigtes) Einkommen
- 100 200 300
Bruttobedarf (bisherige Berechnung)
1.042,72 1.042,72 1.042,72 1.042,72
Bruttobedarf (Berechnung seit 2018)
1.042,72 942,72 842,72 842,72
Nettobedarf
1.042,72 942,72 842,72 742,72
Verfügbares Einkommen
842,72 842,72 842,72 842,72

Liegt dagegen anrechenbares Einkommen vor (Fälle B bis D), so mindert dies den zu ermittelnden Bruttobedarf – und zwar um maximal jenen Betrag (vgl. Fälle C und D), der in Summe als Beitrag oder Prämie zur Kranken- und Pflegeversicherung fällig ist. – Auf den Nettobedarf wie auch auf das den Hilfebedürftigen am Ende zur Verfügung stehende monatliche Einkommen hat die neue Berechnung des Bruttobedarfs im Einzelfall keine Auswirkung. Warum ist die Änderung dennoch von Bedeutung?

Der durchschnittliche Bruttobedarf, bei dem es sich der Sache nach um eine Nettogröße handelt, dient vielfach als Referenz für die Entwicklung des Leistungsniveaus der Rentenversicherung Löhne, Renten und Existenzminimum – etwa zur typisierenden Bestimmung der erforderlichen Lohnhöhe Vollzeitbeschäftigter zur Erlangung einer Altersrente oberhalb der Grundsicherung (Mindestlohnhöhe) [1]. Über die vergangenen Jahre haben sich Nettostandardrente und Grundsicherungsbedarf einander bedenklich genähert – ein Prozess »systemischer Verschmelzung«. Mit der neuen Berechnung des Bedarfs ist dieser Prozess nicht außer Kraft gesetzt; aufgrund der nun gesunkenen Referenzgröße erscheint er jedoch in einem etwas weniger bedrohlichen Licht.

[1] Vgl. u.a. Antwort der Bundesregierung auf Frage Nr. 85 der Abgeordneten Ferschl (DIE LINKE), BTDrs 19/2083, v. 11.05.2018, S. 54 BTDrs 19/2083

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